„Wir haben vor zigtausenden Jahren bestimmte Tiere gezähmt“, schreibt die bekannte Bioköchin Sarah Wiener in einem Facebook-Post. „Dies war ein gegenseitiger Vertrauensakt. Du gibst mir Schutz und Futter, ich gebe dir Milch und Eier, Wolle oder vielleicht auch Zuneigung.“ (Quellen siehe unten)

Viele Leute denken, dass die frühe Tierhaltung – alles vor der schrecklichen Massentierhaltung – eine idyllische Angelegenheit gewesen sei. Es ist eine schöne Vorstellung, dass Tiere und Menschen einen unausgesprochenen Vertrag miteinander eingegangen seien, auf gegenseitig freiwilliger Basis. In vielen sprachlichen Ausdrücken steckt diese Idee ebenfalls drin – wenn wir zum Beispiel sagen, dass die Hühner uns Eier und Fleisch „liefern“ oder die Rinder Milch „geben“.
Tatsächlich spricht aber wenig dafür, dass die Tiere in einen solchen Vertrag jemals eingewilligt hätten. Nicht nur konnten sie natürlich das Konzept und die Folgen geistig kaum erfassen. Sie ließen sich auch – möglicherweise mit Ausnahme der Vorfahren der Hunde – nicht freiwillig mit den Menschen ein. Die Domestikation von Tieren für den menschlichen Gebrauch begann genau wie die Entwicklung der Landwirtschaft vor etwa 10.000 Jahren. Knochenfunde von frühen Nutztieren (8.500 v. Chr.) belegen Verletzungen, Krankheiten und hohe Stressbelastung. Die Überreste von Schafen und Ziegen aus dem Beginn der Bronzezeit (vor etwa 5.000 Jahren) zeigen eine geringe Knochendichte und damit einen Kalziummangel – offenbar die Folge schlechter Ernährung und intensiven Melkens. (Nibert 2013, S. 11)
Tiere wurden nicht nur direkt für die Ernährung, sondern auch als Arbeitskräfte genutzt. Der Historiker Yuval Noah Harari beschreibt den Prozess der Domestikation folgendermaßen:

„Um Stiere, Pferde, Esel und Kamele zu gehorsamen Zugtieren zu machen, mussten ihre natürlichen Instinkte und sozialen Beziehungen zerstört, ihre Aggression und Sexualität gebrochen und ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. Dazu entwickelten Bauern die unterschiedlichsten Methoden, sie pferchten die Tiere in Käfige und Ställe, zügelten sie mit Stricken und Zaumzeug, zähmten sie mit Stöcken und Peitschen und verstümmelten sie. Zur Zähmung gehörte fast immer die Kastration der männlichen Tiere – das bändigt die männliche Aggression und gibt den Menschen die Möglichkeit, die Fortpflanzung der Herde zu kontrollieren.“ (Harari 2013, Kap. 5, nächste Zitate ebenso)
Auch Menschen, die in neuerer Zeit ohne industrialisierte oder institutionalisierte Tierhaltung leben, gehen mit den Tieren keineswegs besonders freundlich um – das Hauptziel ist, die Tiere nutzbar zu machen. Dafür muss man sie u.a. am Weglaufen hindern. Harari berichtet (Achtung sehr grausam):
„In vielen Stämmen Neuguineas wird der Reichtum eines Stammesangehörigen traditionell an der Zahl seiner Schweine gemessen. Um sicherzustellen, dass die Schweine nicht davonlaufen, schneiden Bauern im Norden der Insel den Tieren ein Stück ihres Rüssels ab. Danach verursacht das Schnüffeln große Schmerzen. Da Schweine jedoch ohne ihren Geruchssinn keine Nahrung finden und sich nicht einmal orientieren können, werden sie durch diese Verstümmelung vollkommen abhängig von ihren menschlichen Besitzern. In einer anderen Gegend Neuguineas stechen die Bauern ihren Schweinen sogar die Augen aus, damit sie nicht davonlaufen.“
Die Milchwirtschaft habe ganz eigene Methoden zur Unterjochung der Tiere entwickelt, schreibt Harari. „Kühe, Ziegen und Schafe geben nur Milch, wenn sie Kälber, Zicklein und Lämmer zur Welt gebracht haben, und dann auch nur so lange sie die Jungen säugen. Um den Milchfluss aufrechtzuerhalten, brauchen Bauern die Kälber, Zicklein und Lämmer, aber gleichzeitig müssen sie verhindern, dass diese die ganze Milch bekommen. Eine traditionelle Methode besteht darin, die Jungen einfach kurz nach ihrer Geburt zu schlachten, die Mutter so lange wie möglich zu melken und sie dann wieder zu schwängern.“
Eine Methode der Nuer im Sudan bestand Harari zufolge darin, dem Kalb einen Dornenkranz um die Schnauze zu binden, um die Mutter beim Säugen zu stechen und deren Widerstand zu provozieren. Kamelzüchter der in der Sahara lebenden Tuareg wiederum „verstümmelten die Nase und Oberlippe der jungen Kamele, damit die Tiere beim Saugen Schmerzen empfanden und nur wenig Milch tranken.“
Gibt es Gründe anzunehmen, dass unsere eigenen Vorfahren so viel anders mit ihren „Nutztieren“ umgegangen sind? Interessanterweise passiert hier ja eine Kollision verschiedener Vorstellungen: Zum einen das Bild, dass Menschen, die vor oder außerhalb der westlichen wissenschaftlich-industriellen Entwicklung lebten bzw. leben, irgendwie naturnäher und tierfreundlicher seien als wir. Zum anderen gibt es die Vorstellung, dass „unzivilisierte Menschen“ besonders brutal und mitleidlos seien. Welche Idee stimmt denn nun?
Harari weist auch darauf hin, dass nicht alle frühen Tierhalter*innen so gewaltvoll mit ihren Tieren umgegangen seien. „Viele Schäfer und Bauern behandelten ihre Tiere mit Zuneigung und Fürsorge, genau wie einige Sklavenhalter ihre menschlichen Sklaven mit Zuneigung und Fürsorge behandelten. Nicht umsonst wurde der Hirte zum Vorbild für Könige und Propheten.“ Auch daraus ergibt sich allrdings nicht, dass die Tiere sich in diesen Fällen freiwillig unterworfen und ihre Freiheit, ihre Kinder und ihr Leben freiwillig aufgegeben und abgetreten hätten.
Kriegerische Hirtenvölker
Ebenso falsch wie die Idee vom unausgesprochenen Vertrag zwischen Mensch und Tier ist die Vorstellung, dass die Tierhaltung in der Vergangenheit allein in kleinbäuerlichen Strukturen organisiert war, die den Bauernhöfen aus Kinderbüchern ähnelten – ein paar Hühner, zwei Kühe und drei Schweine zwischen fruchtbaren Feldern. Der gemischte Betrieb mit Ackerbau und etwas Viehzucht war zwar tatsächlich eine verbreitete Form der Landwirtschaft über viele Jahrtausende. Ein ganz anderes und historisch sehr entscheidendes Modell war allerdings die Haltung und Nutzung von großen Herden von Weidetieren wie Rindern, Pferden und Schafen. Schon vor achttausend Jahren zogen nomadische Hirtenvölker durch die eurasischen Steppen, die sich häufig gegenseitig bekriegten und die sesshaften LandwirtInnen überfielen.

Der Soziologe David Nibert argumentiert anhand einer Vielzahl historischer Quellen, dass die Unterwerfung von Tieren zu verschiedenen Zeiten verstärkt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Menschen geführt habe: Herden von Weidetieren ermöglichten lange Kriegsfeldzüge, weil sie sowohl Transportmittel als auch mobile Nahrungsmittelversorgung bereitstellten. Im Falle der Pferde konnten die Tiere auch selbst als Kriegsmittel benutzt werden. Zugleich brauchten große Herden immer mehr Weideflächen, gerade wenn vorhandenes Grasland durch Übernutzung ausgelaugt und unbrauchbar geworden war. Also mussten weitere Flächen erobert und in Besitz genommen werden. Die Tiere selbst waren Kapital und damit Anreiz für Raubzüge, bei denen die Herden die Besitzer wechselten. Derlei Dynamiken zeigt Nibert nicht nur für die eurasischen Hirtenvölker auf, sondern ebenso für die kriegerische Expansion des römischen Reiches. (Vgl. Nibert 2013, Kap. 1)
Tierhaltung als Bedingung oder Hindernis von Fortschritt?
Natürlich darf nicht übersehen werden, dass die Nutzung von Tieren über Jahrtausende bedeutende praktische Vorteile bot: Sie ermöglichte den Menschen, auch solche Landstriche zu nutzen, die für Ackerbau weniger gut geeignet waren. Kleinere Tierbestände waren ein wichtiger Teil von gemischten Agrarsystemen für den Großteil der Geschichte der Landwirtschaft. Die Tiere wurden als „Eiweißfabriken“ genutzt, die Gras und Abfälle in nährstoffreiche Muttermilch, Eier und Fleisch verwandelten, die sich die Menschen aneigneten. Daneben machten LandwirtInnen sich die Körperkraft großer domestizierter Tiere wie Rinder zunutze, um Ackerland zu pflügen und Güter zu transportieren. Die Ausscheidungen der Tiere fungierten als Dünger; Kuhfladen waren ein wertvoller Brennstoff. Aus der Wolle gehaltener Schafe und den Häuten getöteter Tiere wurden Kleidung und andere Materialien hergestellt.
Zugleich war die Tierhaltung aber schon immer sowohl ökologisch als auch sozial problematisch: Schon vor der Industrialisierung verwandelten Menschen gigantische Landflächen in Acker- und Weideland, wobei das Weideland den weitaus größeren Anteil hat. Die Treibhausgase, die durch die Abholzung von Wäldern, Trockenlegung von Mooren und Nutzung natürlicher Savannen frei wurden, haben sich historisch angesammelt und spielen damit noch immer für die aktuelle Klimakrise eine bedeutende Rolle. Auch in der Vergangenheit kam es bei durch die Landwirtschaft immer wieder zu großflächiger Bodenerosion, Bodenverlust und damit zum Niedergang ganzer Zivilisationen – sowohl durch schlichte Übernutzung, im Falle der Weidewirtschaft Überweidung, als auch durch die Form des Bodenbearbeitung, wobei das Pflügen, ermöglicht durch die Körperkraft der Tiere, eine wesentliche Rolle spielte. (Vgl. Montgomery 2010, Weis 2007)
Tierproduktion und Fleischkonsum waren häufig eng mit sozialen Hierarchien und Klassenstrukturen verknüpft. Im mittelalterlichen England konkurrierten die Adligen miteinander darum, wer bei Festmahlen größere Fleischportionen auffahren konnte. Fleisch und besonders Rindfleisch geriet über die Jahrhunderte zum Symbol für Macht, Stärke und Männlichkeit. Der steigende Fleischhunger der englischen Oberschicht bildete eine treibende Kraft für die wirtschaftliche Ausbeutung Irlands und Schottlands: Noch während der Hungersnot in den 1840er Jahren in Irland, in der eine Millionen IrInnen starben und eine weitere Million auswanderten, wurden weiterhin große Mengen Rind- und Schweinefleisch nach England exportiert. (Weis 2007, S. 63)
Die Menschen in Europa insgesamt aßen lange Zeit im Durchschnitt deutlich mehr Fleisch als der Rest der Welt – wenn auch im Vergleich zu heute wenig. (Weis 2007, S. 59) Überweidung führte zu Erosion und Wüstenbildung, u.a. auf der spanischen Halbinsel. Nach der Entdeckung von Süd- und Nordamerika wurden plötzlich riesige neue Landgebiete zugänglich. Das Ranching, also die Haltung und Nutzung großer Rinderherden, spielte eine zentrale Rolle bei der Kolonisierung der „Neuen Welt“ bzw. bei dem Krieg gegen die Menschen, die zuvor auf diesen Kontinenten lebten. Spanische Eroberer vertrieben indigene BewohnerInnen, schifften spanische Langhornrinder ein und errichteten Haciendas, auf denen typischerweise große Rinderherden gehalten und etwas europäisches Getreide wie Weizen angebaut wurde. Millionen verwilderter Rinder und Schweine veränderten die ganze Ökologie des Kontinents. (Rifkin 1992, S. 49)

Die schrittweise Eroberung Nordamerikas wiederum beinhaltete die massenweise Tötung zahlloser Wildtiere, darunter die Büffel, von denen zuvor 30 bis 60 Millionen die riesigen fruchtbaren Graslandschaften beweidet hatten. Insofern die Native Americans existentiell von den Büffelherden abhingen, handelte es sich bei der Ausrottung dieser Tiere zugleich um eine Art ökologischer Kriegsführung. Die getöteten Büffel – von denen meist nur die Haut abgezogen wurde, während der Körper in der Sonne vergammelte – wurden nach und nach durch Rinderherden ersetzt, die nun auf den weiten Prärien grasten. Zahlreiche Rancher verdienten ein Vermögen. Einzelne Rinderbarone besaßen Millionen von Rindern und Schafen. Die Native Americans dagegen wurden, wenn nicht direkt getötet, dann in Abhängigkeit und Elend gestürzt und teils auch als Arbeitskräfte ausgebeutet. (Rifkin 1992, S. 76, Nibert 2013, S. 104)
Für den Soziologen Nibert ist die Lehre aus diesen historischen Prozessen klar: Die Haltung und Nutzung domestizierter Tiere sei nicht, wie oft behauptet, Fortschritt und Bedingung für die Zivilisation gewesen. Vielmehr habe sie die Grundlage für weitreichende Gewalt gegen Menschen gebildet und so der Entwicklung zu einer gerechten und friedlichen Welt im Wege gestanden. Vielleicht ist auch beides richtig: Unsere heutige Zivilisation – das, was wir als Fortschritt ansehen – beruht auf der Ausbeutung und der Ausrottung von jeweils zahllosen Menschen und Tieren, historisch ebenso wie aktuell.
Fazit
Die vorindustrielle Nutzung von Tieren in der Landwirtschaft war für viele Menschen sinnvoll und gewinnbringend, für viele auch lebensnotwendig. Nicht allen Tieren ging es immer schlecht dabei. Sehr vielen aber schon. Es ist eine Illusion zu denken, frühere Menschen hätten generell oder auch nur mehrheitlich friedlich mit den so genannten Nutztieren kooperiert oder auf ihre Bedürfnisse viel Rücksicht genommen. Die Geschichte der Tierhaltung ist vielmehr eine Geschichte der Gewalt. Es gibt also keine romantische Vergangenheit, die es zurückzuholen gilt. Wir müssen uns daher fragen, ob wir nicht besser daran täten, unsere Beziehung zu anderen Tieren auf eine ganz neue Basis zu stellen.
Quellen:
Zitat von Sarah Wiener: Facebook-Post vom 18. Januar 2019, 18:44 Uhr.
David Nibert (2013): Animal Oppression and Human Violence: Domesecration, Capitalism, and Global Conflict, Columbia University Press.
Yuval Noah Harari (2013) Eine kurze Geschichte der Menschheit, DVA.
David R. Montgomery (2010): Dreck. Warum unsere Zivilisation den Boden unter den Füßen verliert, oekom Verlag.
Tony Weis (2007): The Global Food Economy. The Battle for the Future of Farming, Zed Books & Fernwood Publishing.
Jeremy Rifkin (1992): Beyond Beef. The Rise and Fall of the Cattle Culture, Penguin Books.