Distanzierung von Niko Rittenau

Es ist schon lange überfällig: Ich distanziere mich von Niko Rittenau. Der ex-vegane Ernährungswissenschaftler, der mittlerweile selbst eine Hühnerfarm betreibt und Eier und Fleisch verkauft, steht leider immer noch auf dem Cover meines letzten Buches „Anders satt“, weil er dafür das Vorwort geschrieben hat.

Rittenau war lange ein populärer Fürsprecher der veganen Ernährung. Seit einigen Jahren vertritt er nun zunehmend fragwürdige Positionen. Den Anfang nahm seine Wandlung mit Zweifeln daran, ob eine vegane Ernährung für alle Menschen gesundheitlich geeignet sei. Das ist an sich legitim und gut – Hinweise auf mögliche Einschränkungen sollte man ernst nehmen und eine absolute Sicherheit gibt es nicht. Daran anschließend hat er sich aber immer mehr zu einem allgemeinen Kritiker des Veganismus entwickelt. Mittlerweile sagt er nicht nur, dass viele Menschen nach heutigem Kenntnisstand aufgrund genetischer Voraussetzungen Tierprodukte bräuchten, um gesund zu sein – unklar bleibt dabei immer, welche und wie viele Menschen das genau betreffen soll. Er argumentiert dazu auch immer wieder aus ökologischer, ethischer und politisch-strategischer Perspektive gegen den Veganismus. Dabei halten viele seiner heutigen Aussagen einer Prüfung nicht stand.

Bereits Ende 2023 habe ich mich deshalb mit Rittenau zu einem Online-Gespräch getroffen und wir haben uns über drei Stunden unterhalten oder besser gestritten. Den Großteil des Gesprächs ging es um die Umweltauswirkungen verschiedener Ernährungsformen, ein Thema, mit dem ich mich gut auskenne. Rittenau dagegen stellte teils so hanebüchene Behauptungen auf, dass klar wurde: Er hatte wirklich wenig Ahnung von grundlegenden Fakten – obwohl er stets so auftrat, als ob er sich tiefgehend mit der Materie beschäftigt hätte. Zum Beispiel hat er mit großer Überzeugung behauptet, dass Rinder in ihren Mägen Stickstoff (als Teil von Aminosäuren) produzieren würden – anstatt den Stickstoff über die Nahrung aufzunehmen. Damit wollte er seine These stützen, dass man in Deutschland in kargen Gebirgslandschaften, die sonst nicht für die Landwirtschaft taugen, durch Beweidung und ohne Düngung große zusätzliche Mengen an Tierprodukten erzeugen könnte – was ziemlich absurd ist.

Er hat auch bereits in öffentlichen Formaten extrem platte Argumente zu dem Thema vertreten. So betont er z.B. gern, nicht jede Tierhaltung sei ökologisch schädlich und es gäbe aus ökologischer Sicht sehr sinnvolle Tierhaltung, darunter die Weidehaltung von Rindern, denn: es gibt ja global so viel Weideland, das sich gar nicht anders nutzen ließe. Das Argument ist natürlich schon uralt.

Ebenso alt sind die Antworten darauf: Aus der bloßen Tatsache, dass aktuell viel Land als Weideland genutzt wird, folgt überhaupt nicht, dass wir das für unsere Ernährung brauchen oder dass diese Nutzung sinnvoll wäre – hierzulande wäre es z.B. für viele Weideflächen sehr sinnvoll, sie stattdessen zu renaturieren, also insbesondere für den Klimaschutz Moore wiederzuvernässen oder auch Flächen aufzuforsten. Diese Flächen würden uns zugleich nicht bei der Ernährung fehlen, wenn wir nicht mehr auf der Hälfte der Ackerflächen Tierfutter anbauen würden, sondern diese für die menschliche Ernährung nutzen würden.

Nun gibt es zwar tatsächlich Argumente, die (allein aus ökologischer Perspektive) dafür sprechen können, auf bestimmten Flächen Rinder oder andere Wiederkäuer weiden zu lassen und auf dieser Basis Tierprodukte zu erzeugen. Dabei müsste man aber eine Reihe an Aspekten berücksichtigen, von den Effekten auf die Artenvielfalt bis hin zur Klimawirkung der Rinderhaltung. Um ökologisch vertretbar zu sein, müsste sich die Weidehaltung mindestens deutlich von der heute meist üblichen Praxis unterscheiden.

Die Sache ist also viel komplexer, als Rittenau sie darstellt. Klar ist, dass man nicht einfach sagen kann: Weidehaltung ist umweltfreundlich. In Wahrheit ist sie aktuell Teil des Problems. Hier gibt es ausführlichere Texte mit nützlichen Fakten dazu:

Das zweite Problem ist die generelle Stoßrichtung bei dem Umweltthema. Niko Rittenau stimmt zu, dass für Umwelt und Klima die Tierhaltung deutlich reduziert werden muss und pflanzliche Ernährung besser ist als die tierproduktlastige Durchschnittsernährung. Und er hat recht, wenn er sagt, dass aus der ökologischen Perspektive allein nicht folgt, dass man sich strikt vegan ernähren sollte, denn es gibt ökologisch vertretbare Möglichkeiten Tierprodukte zu erzeugen. (Siehe dazu meinen Blogartikel hier.)

Aber dabei geht es um Praktiken, die aktuell nur in Nischen praktiziert werden, und auch die produzierbaren Mengen sind wahrscheinlich ziemlich klein. Niko Rittenau stellt das aber ganz anders dar. Und immer auf diesen vermeintlich umweltfreundlichen Tierprodukten herumzureiten, ist absurd in Anbetracht der Realität, in der fast alle Menschen massiv mehr Tierprodukte essen, als irgendwie verträglich ist.

Eine Analogie dazu: Stellt euch vor, wir reden darüber, dass Kinder zu viele ungesunde zuckrige Softdrinks wie Cola und Fanta konsumieren, und wie wir das ändern können. Und Rittenaus Beitrag zu dem Thema bestünde darin, immer wieder zu betonen, dass es im Reformhaus auch einen Softdrink gibt, der gar nicht so ungesund ist und sogar ein paar Vitamine enthält.

Rittenau und ich haben in unserem Gespräch auch über Tierethik gestritten – etwa über seine damals schon geplante Hühnerhaltung, deren Bedingungen er meiner Ansicht nach massiv verharmlost und schöngeredet hat. Mittlerweile hat er an anderer Stelle dazu noch weitere wirklich schlechte Argumente vorgebracht, die in der akademischen Tierethik zu Recht praktisch niemand ernstnehmen würde – er verteidigt seine Hühnerhaltung z.B. damit, dass es den Tieren besser gehe als in der Natur. So ein Argument habe ich zuletzt von einem konventionellen Schweinehalter gehört.

Hinzu kommt, dass er in der ethischen Begründung für die Hühnerhaltung oft seine These zugrunde legt, dass manche Menschen Tierprodukte brauchen, um gesund zu sein. Wenn man das als Grundlage annimmt, müsste aber daraus folgen, dass nur diese Menschen die Tierprodukte bei ihm kaufen sollten oder dürften. Stattdessen werden die Produkte aber ganz breit und ohne jede einschränkende Kommunikation in dieser Richtung beworben.

In öffentlichen Gesprächen und Diskussionen stellt Rittenau es gern so dar, als ob alle Veganer*innen aus Ideologie und Dogmatismus heraus gute Einwände nicht anerkennen würden. Nur er selbst habe im Gegensatz dazu die Komplexität der Themen verstanden und würde die Dinge differenziert betrachten. (Natürlich gibt es Veganer*innen, die dogmatisch und unsachlich agieren. Aber das macht ja Rittenaus Argumente nicht besser)

Mit dieser Haltung trat er auch in unserem Gespräch auf – dazu mit einer Selbstsicherheit, die in Anbetracht der inhaltlichen Schwächen wirklich unangebracht und in der Interaktion sehr unangenehm war. Er unterbrach mich oft, hörte nicht richtig zu, erklärte mir ausführlich simpelste Punkte, die ich gar nicht in Frage gestellt hatte, oder verstand meine Aussagen falsch, um mich dann zu korrigieren. Bei einfachen Sachfragen, zu denen er sich offensichtlich nicht auskannte, ließ er mein Fachwissen nicht gelten. Weil wir uns bei mehreren Faktenfragen nicht einigen konnten – obwohl teils kurzes Googeln gereicht hätte, um seinen Irrtum zu zeigen – regte er wiederholt an, dass wir uns gegenseitig unsere Quellen schicken. Ich habe das getan, er nicht. Er hat sich zu meinen Quellen, die seine Irrtümer belegten, nicht geäußert und irgendwann einfach nicht mehr auf meine Emails geantwortet.

Das Gespräch war ursprünglich zur Veröffentlichung gedacht, aber ich habe mich dagegen ausgesprochen, vor allem weil es inhaltlich so chaotisch geworden ist – wir sprangen zwischen den Themen und stießen immer wieder auf Differenzen, mit denen ich nicht gerechnet hatte, weil ich bei ihm noch Kenntnisse voraussetzte, die aber nicht vorhanden waren. Zum Zuhören und vor allem für Menschen, die sich nicht gut auskennen, wäre das Gespräch vor allem verwirrend gewesen.

Bislang habe ich mich dazu nicht öffentlich geäußert – ursprünglich, weil ich das Thema ausführlicher aufarbeiten wollte. Das hätte jedoch erheblichen Aufwand bedeutet und andere Dinge waren immer wichtiger. Daran hat sich bis heute nichts geändert, deshalb konnte ich hier inhaltlich nur einige Punkte skizzieren.

Zum Glück gibt es inzwischen ausführliche, fundierte Kritik von anderen zu diversen von Rittenaus Aussagen, auch in seinem Kerngebiet der Ernährungswissenschaft. Da zeigt sich z.B., dass er problematisch mit Studien umgeht, Ergebnisse einseitig übertreibt und nicht angemessen einordnet. Hier sind einige Links:

Ich distanziere mich also von Niko Rittenau, weil er regelmäßig Thesen vertritt, die schlecht fundiert oder klar falsch sind, weil er verzerrende und gefährliche Botschaften verbreitet und weil er zugleich kein Interesse an einer konstruktiven inhaltlichen Auseinandersetzung zeigt.

Mein Appell: Seid kritisch – natürlich auch gegenüber veganen Glaubenssätzen. Aber eben auch gegenüber vegan-kritischen Behauptungen, die vielleicht zunächst überzeugend und gut belegt klingen, es bei näherem Hinsehen aber einfach nicht sind.