Nebelkerze Fleischsteuer: Wie weit wir die Debatte noch drehen müssen

Artikel in der ZEIT vom 7. August 2019

In den letzten Wochen wurde die Frage in den Medien rauf- und runterdiskutiert: Soll für Tierprodukte der erhöhte Mehrwertsteuersatz erhoben werden anstatt des reduzierten, mit dem sie bisher als „Grundnahrungsmittel“ im Vergleich zu anderen Produkten vergünstigt werden? Natürlich ist es grotesk, dass Fleisch, Milch und Eier steuerlich bevorteilt werden, gegeben wie klar die Belege für ihre Umwelt- und Klimaschädlichkeit schon auf dem Tisch liegen. In dem Sinne ist eine Reform der Mehrwertsteuer längst überfällig. Aber mindestens ebenso grotesk ist die Intensität der Diskussion, die über diesen winzigen Reformschritt aktuell geführt wird. Das zeigt, wie weit wir als Tierrechts- und Klimabewegung die gesellschaftliche Debatte noch drehen müssen. Hier die Aspekte, in denen aus meiner Sicht die Fleischsteuer an den realen Problemen vorbeigeht.

1. Tierethik

Viele Beiträge tun so, als ob das vorrangige ethische Problem mit dem Fleischkonsum sei, dass das Fleisch zu billig ist, und als ob man mit etwas finanzieller Unterstützung die aktuellen Haltungssysteme auf „Tierwohl“ umrüsten könnte, womit dann alles in Ordnung wäre. Aber auch in vermeintlich besseren Ställen leiden Schweine, Hühner und Rinder immens. Eine Verbesserung der konventionellen Haltung mit Steuergeld, wie sie zugleich mit der Mehrwertsteuererhöhung gefordert wird, würde realistischerweise noch weit hinter dem vorgeschriebenen Standard für die Biohaltung zurückbleiben. Nach diesem Standard haben Schweine einen Auslauf von einem lächerlichen Quadratmeter, müssen Hühner mit 2.999 Artgenossen in strukturlosen Ställen leben und Rindern kann direkt nach der Geburt ihr Kälbchen weggenommen werden. Mit welchem Recht tun wir fühlenden Wesen das an? Hinzu kommt, dass natürlich in der Fleischsteuer-Debatte die grundsätzliche Frage völlig hinten runter fällt, warum wir Tieren ohne Not ihr Leben nehmen sollten, nur weil Würstchen, Käse oder Eier halt so lecker sind.

2. Klimaschutz

Der Weltklimarat hat nochmal klargestellt, was schon zig Studien vorher gezeigt haben: Die Landwirtschaft trägt massiv zur Klimakrise und anderen ökologischen Problemen bei und eine Schlüsselfrage ist die Tierproduktion. Um die Erderwärmung zu bremsen und Artenvielfalt zu erhalten, müssen wir runter von der Tierhaltung. Mit dem Vorschlag der Fleischsteuer wird das vermeintlich aufgegriffen, denn damit soll ja auch eine Verringerung des Verbrauchs erreicht werden. Tatsächlich ist der Vorschlag aus mehreren Gründen keine Antwort auf das Problem.

2.1 Menge von Tierprodukten

Die Reduzierung, die man sich von einer Erhöhung der Mehrwertsteuer versprechen könnte, erreicht nicht annähernd die Dimensionen, über die wir reden müssen. Die Dramatik der Lage ist offensichtlich bei den meisten Politiker_innen und Medienmachenden noch immer nicht angekommen. Wir rasen auf eine tödliche Erwärmung von mehreren Grad Celsius zu, wir sind gerade dabei mehrere zentrale Kipppunkte zu überschreiten, der Kollaps unserer Gesellschaften und möglicherweise fast aller Ökosysteme passiert absehbar in höchstens wenigen Jahrzehnten. Das einzig Vernünftige, was wir in dieser Lage tun können, ist Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen so weit und so schnell zu reduzieren wie irgend möglich. Tierprodukte sind mindestens hierzulande immer verschwenderisch und klimaschädlich. Es gibt keine verträgliche Menge davon. Wir haben kein sicheres Budget mehr – und selbst wenn, wäre es absurd, es mit Rinderrülpsern auszuschöpfen, während so viele Leute noch Zugang zu Elektrizität brauchen und auch wir im Winter noch heizen möchten. Wir müssen daher endlich damit anfangen, unsere Ernährung ganz grundlegend umzustellen, anstatt uns mit dieser Prozentkosmetik aufzuhalten.

2.2 Agrarwende

Wir brauchen offensichtlich passend zur Ernährungsumstellung eine umfassende Agrarwende – nicht nur um Treibhausgase zu sparen und Flächen für Renaturierung und Einlagerung von Kohlenstoff zu gewinnen, sondern auch, um die Landwirtschaft besser auf die unvermeidbaren Klimaänderungen wie zunehmende Dürreperioden anzupassen. Eine solche Wende erfordert einen gesamtgesellschaftlichen Kraftakt und politische Steuerung – kleine Preisveränderungen oder etwas Förderung für „mehr Tierwohl“ sind dafür völlig unzureichend. Statt über den „Umbau“ der Tierhaltung, müssen wir über deren Abbau reden. Wie können Mastanlagen und Schlachthöfe anders genutzt werden? Was sollten wir am besten mit den Flächen machen, die frei werden, wenn wir keine Futtermittel mehr anbauen müssen? Wie können wir eine gesunde und leckere Ernährung für alle gewährleisten? Wie bringen wir dabei individuelle Freiheit und Vorsorge- und Nichtschädigungsprinzipien in Einklang? Welche Entschädigungen und welche alternativen Möglichkeiten bieten wir Landwirt_innen, die bisher mit Tierhaltung und industrieller Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt verdient haben? Wie können wir ausreichend viele Menschen in kurzer Zeit in klima- und umweltverträglichen Anbaumethoden schulen? Diese und viele weitere Fragen stellen sich, wenn wir die Notwendigkeit zur grundlegenden Agrarwende ernst nehmen. Fast jeder Kommentar zur Fleischsteuer geht aber an diesen eigentlich relevanten Fragen vorbei.

2.3 Instrument Verteuerung

Die Idee, ein schädliches Verhalten dadurch zu reduzieren, dass man es teurer macht, ist geradezu ein Reflex in der Umwelt- und Klimadebatte. „Benzin muss teurer werden!“, „Fliegen muss teurer werden“ oder eben „Fleisch muss teurer werden!“ Natürlich kann eine Verteuerung den gewünschten Effekt haben und die Nachfrage verringern. Aber es ist erstens nicht das einzige Mittel und zweitens nicht klarerweise das beste. Und es ist grundsätzlich unfair, denn es geht davon aus, dass diejenige am schädlichsten sein dürfen, die am meisten Geld haben. Wenn du es dir leisten kannst, flieg gerne mehrfach im Jahr durch den Globus und futter dich mit Luxus-Steaks satt, kein Problem. Es wurde vielfach darauf hingewiesen, dass das Argument der sozialen Gerechtigkeit im Hinblick auf die sog. Fleischsteuer wenig Sinn macht. Aber trotzdem ist es richtig, das Grundmodell „Schädigungserlaubnis für Geld“ in Frage zu stellen.

Stattdessen müssen wir endlich über andere, sozial gerechtere Weisen der Reduzierung schädlicher Aktivitäten reden. Wenn wir ernsthaft glauben, dass wir alle weniger fliegen oder uns anders ernähren müssen, weil etwas anderes für die Gemeinschaft und die Zukunft schlicht nicht verträglich ist, dann ist doch die naheliegendste Methode, die jeweiligen Güter je Person zu beschränken – anstatt je Geldsumme. Das Konzept heißt Rationierung und wurde in der Vergangenheit in entsprechenden Notsituationen schon oft angewandt, mit offensichtlichen Nachteilen, aber auch vielen Vorteilen.
Für mich als Tierrechtlerin macht zwar die Forderung wenig Sinn, dass Fleischkonsum rationiert werden soll – Tiere ohne Not zu töten ist falsch, auch wenn es nur für den viel beschworenen „Sonntagsbraten“ passiert. Aber für andere Nahrungsmittel, die wir sinnvollerweise nur in sehr begrenztem Maße erzeugen bzw. importieren sollten bzw. die sehr ressourcenintensiv sind – denken wir an Palmfett oder Kaffee – könnte das Konzept praktikabel sein.

Fazit

In jedem Fall ist das die Debatte, die wir eigentlich führen müssen: Wie können wir auf gerechte Weise in kurzer Zeit unsere Wirtschaft und unsere Lebensweise so verändern, dass wir in wenigen Jahren keine Treibhausgase mehr verursachen? Das wird klarerweise nur mit drastischen Reduktionen gehen. Natürlich können wir dabei auch viel gewinnen: Zeit, Gemeinschaft, Lebensqualität. Wenn allerdings weiter ständig so getan wird, als würde die Welt untergehen, wenn wir nicht mehr alle zumindest bei gut gefülltem Geldbeutel Steak futtern und durch die Gegend fliegen können – dann geht sie wirklich unter. Aus meiner Sicht sind wir als Tierrechts- und Klimabewegung gefordert, an dieser Stelle die Debatte wesentliche Schritte weiterzudrehen.