Gesellschaftlichen Wandel kann man nicht kaufen

Spenden statt politisch aktiv werden?

Eine Kritik an einer These des Effektiven Altruismus

Gemeinsamer Beitrag mit Sandra Franz

In letzter Zeit ist in der Tierrechtsszene und anderswo immer mehr vom „Effektiven Altruismus“ die Rede. Dessen Grundidee ist, dass wir aus moralischen Gründen versuchen sollten, unsere zeitlichen und finanziellen Ressourcen möglichst effizient einzusetzen, um möglichst viel Leid zu vermindern bzw. möglichst vielen empfindenden Wesen möglichst viel zu helfen. So weit, so gut.

geldImmer wieder wird aber jetzt konkreter behauptet, viele Menschen könnten sich am effektivsten dadurch engagieren, dass sie möglichst viel Geld verdienen und dieses Geld dann spenden. Die Bewegung brauche möglichst viele Vollzeitaktivist_innen, und wer die Chance habe, in der freien Wirtschaft ordentlich Kohle zu machen, könnte das tun und auf diese Weise mehrere Vollzeitaktivist_innen finanzieren. Generell sollten alle Menschen, denen Tierbefreiung am Herzen liegt, nicht nur vegan leben, sondern viel spenden. Dabei sei es dann noch entscheidend, dass man an möglichst effiziente Organisationen spende, und welche das seien, lasse sich mit wissenschaftlichen Methoden messen.

Wir finden diese Idee auf verschiedenen Ebenen höchst problematisch und möchten in diesem Text erklären, warum. Unsere Gegenthese lautet: Spenden für gute Organisationen ist eine prima Sache, aber unsere zentrale Forderung als Tierrechts- und Tierbefreiungsaktivist_innen sollte lauten: Werdet selbst aktiv! Engagiert euch politisch!

Was die Bewegung am nötigsten hat, ist nicht mehr Geld und finanzkräftigere professionelle Organisationen, sondern mehr Graswurzelaktivismus. Denn um grundlegende gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen, braucht es viele selbstdenkende, aktive, vernetzte Menschen, nicht wenige professionelle Organisationen und ein Heer von Spender_innen. Das ist nicht gegen die Grundidee des Effektiven Altruismus gerichtet. Es ist ein sinnvolles Ziel, große Verbesserungen für viele empfindende Lebewesen erreichen zu wollen. Um das zu erreichen, müssen wir aber eine wachere und aktivere Gesellschaft werden – nicht primär eine spendende Gesellschaft.

Hier sind ein paar ausführlichere Argumente auf unterschiedlichen Ebenen.

1. Gutbezahlte Jobs und ein zum Spenden ausreichendes Einkommen sind Güter, die sehr unfair verteilt sind.

Unsere Bewegung ist sowieso schon sehr stark von studierten, privilegierten Mittelschichtsleuten geprägt. Die Botschaften der Effektiven Altruist_innen schließen andere Menschen weiter aus, da sie suggerieren, dass man desto mehr für Tiere tut, desto mehr Geld man für bestimmte Organisationen einbringt. Viel Geld verdienen können aber nur wenige. Andersherum werden Menschen ohne die nötigen Privilegien wie einen Hochschulabschluss selten von den betreffenden Organisationen eingestellt – denn von ihnen wird nicht die Fähigkeit erwartet, in der gewünschten Weise wissenschaftlich fundiert effizient zu sein. Geringer privilegierte Menschen würden letztlich also auf diese Weise fast vollständig ausgeschlossen oder könnten höchstens als Hilfspersonal wie zum Flyerverteilen eingesetzt werden. Dagegen gibt es so viele Möglichkeiten, selbst organisiert aktiv zu werden. Aus unserer Sicht wird eine breite und diverse Bewegung erfolgreicher sein als eine homogene und elitäre.

2. Die Thesen zur Messbarkeit der Effektivität von Aktionen und Organisationen sind problematisch und pseudowissenschaftlich.

Immer wieder wird von Organisationen behauptet, sie könnten die Wirksamkeit verschiedener Aktionen oder Publikationen wissenschaftlich präzise angeben. Einer kritischen Überprüfung halten diese Behauptung selten stand.

selbst wennEinige Organisationen versuchen ihre Arbeit bei der Öffentlichkeitsarbeit für Veganismus umzurechnen in gerettete Tiere. So meint z. B. Die Albert-Schweitzer-Stiftung, man könne für 8 Cent ein Tierleben retten. Derlei Rechnungen wurden vielfach kritisiert und beruhen auf keinerlei irgendwie handfesten Relationen zwischen verteilten Broschüren und Anzahl der weniger produzierten Tiere. Viele der benutzten Zahlen sind pure Spekulation. Die Albert-Schweitzer-Stiftung räumt in ihrem „Wirkungsbericht“ selbst ein, dass sie viele mögliche Effekte verringerten Fleischkonsums nicht berücksichtigen (anschaubar hier, S. 18.). Außerdem beziehen sie bei der Rechnung nicht mit ein, wie viel anderes in einer Gesellschaft passieren muss, damit überhaupt derlei Broschüren eine Wirkung haben können – die Veränderung der Debatte zum Thema ist z. B. ein solcher Faktor.

Mithilfe solcher Rechnungen werden dann von Organisationen Thesen darüber begründet, welche Art von Aktivismus effizient ist. So behauptet zum Beispiel Sebastian Zösch vom Vebu, Spenden an Lebenshöfe würden vergleichsweise wenig bringen, weil der Aufwand zur Rettung eines Tierlebens so viel höher sei als z. B. bei Aufklärungskampagnen. Völlig ausgeblendet wird dabei u.a. die Öffentlichkeitswirkung von Lebenshöfen und deren Einfluss auf die Debatte – die wiederum den Vegan Outreach wirksamer macht.

Wir wollen nicht behaupten, dass man seine Taktiken und Aktionsformen nicht auf Effektivität prüfen und verändern sollte. Jede gute aktivistische Gruppe tut das. Man darf aber nicht so tun, als ließe sich die Wirksamkeit tatsächlich wissenschaftlich stichhaltig quantifizieren. Gesellschaftliche Veränderungen sind komplex und multifaktoriell und von langer Dauer. Wenn Organisationen behaupten, sie hätten die ultimative Strategie gefunden, ist das immer ein Grund zur Skepsis – auch, weil sie das natürlich behaupten, um noch mehr Spenden zu bekommen.

3. Die Wirksamkeit einer Kampagne oder Organisation ist nicht proportional zum aufgewendeten Geld.

Vertreter_innen des Effektiven Altruismus tun oft so, als sei der wirksamste Aktivismus derjenige von finanzstarken NGOs und deren Vollzeitaktivist_innen. Dabei wird völlig übersehen, welche Schlagkraft gerade Graswurzelbewegungen entfalten können – sei es im Atomwiderstand im Wendland oder jetzt in den Bürgerinitiativen gegen Massentierhaltung überall in Deutschland, um nur zwei Beispiele zu nennen. Das sind keine bezahlten jungen Business-Aktivist_innen, sondern einerseits selbstorganisierte Linke und andererseits „normale“ Leute, die sich neben dem Beruf engagieren, weil sie sich über etwas empören.

Kleine selbstorganisierte Gruppen haben große Vorteile gegenüber professionellen Organisationen. Sie können zum Beispiel viel leichter radikale Positionen vertreten und unbrave Aktionsformen wählen, vor denen sich die großen fürchten, weil sie auf Spender_innen aus der Mittelschicht angewiesen sind. Solche radikaleren Positionen und Aktionen sind wiederum für die Gesamtdebatte sehr wichtig. Häufig ist zu beobachten: Je größer eine Organisation wird, desto angepasster und unkritischer verhält sie sich gegenüber herrschenden Institutionen – und desto geringer wird ihr Potential, tatsächlich die Gesellschaft zu verändern.

Graswurzelaktivismus soll natürlich nicht heißen, dass es nur Amateur_innen geben soll und ständig jede Gruppe das Rad neu erfinden bzw. z. B. das Versammlungsrecht alleine verstehen müsste. Hier braucht es aber nicht primär professionelle Organisationen, die sich um alles kümmern, sondern Skill-Sharing und eine gemeinsame Diskussion von Strategien.

Jetzt kommt das wichtigste Argument gegen die Forderung, zu spenden statt politisch aktiv zu werden:

4. Eigener politischer Aktivismus ist nicht allein eine Zeitspende, sondern verändert das eigene Verhältnis zur Gesellschaft – und das ist entscheidend.

Wer sich politisch engagiert, macht neue Erfahrungen, lernt andere Menschen kennen, gewinnt einen neuen Blick auf die Realität und damit auch ein anderes Verständnis von Veränderungsmöglichkeiten. Wer selbst erlebt, welche Widerstände es für die eigenen Ideen gibt, wie Menschen auf neue Vorschläge reagieren oder wie Behörden und Gerichte funktionieren, versteht immer besser, warum in unserer Welt so vieles so ungerecht zugeht – und wie eingegriffen werden kann. Wir brauchen diese Erfahrungen, um unsere Bewegung besser zu machen. Wir sollten diese Beurteilung nicht einigen wenigen NGO-Angestellten überlassen, die natürlich immer auch die Zukunft ihrer eigenen Organisation im Blick haben.

Es ist umgekehrt naiv zu denken, man könne in einem möglichst hochbezahlten Job (zum Beispiel in der Finanzbranche) arbeiten, ohne in seinen politischen Ansichten davon beeinflusst zu werden. Man wird dann in Vollzeit bestimmte Ziele verfolgen und von bestimmten Leuten umgeben sein, die sich für die eigenen Anliegen kaum interessieren. Ganz abgesehen davon, dass die eigentliche Tätigkeit in solchen Jobs aus ethischer bzw. politischer Sicht wahrscheinlich höchst fragwürdig ist – und das verdiente Geld häufig Geld ist, dass auf die eine oder andere Weise anderen Menschen weggenommen wurde –: Aus unserer Sicht setzen die Menschen ihr eigenes kritisches Potential aufs Spiel, wenn sie sich in Jobs begeben, nur um möglichst viel Geld zu verdienen, und sich damit einem bestimmten ideologischen Umfeld kontinuierlich aussetzen.

Ganz allgemein ist es aus unserer Sicht für einen gesellschaftlichen Wandel unverzichtbar, dass viele Menschen ihre Perspektive und gleichzeitig auch ihre Rolle in der Gesellschaft ändern. Denn es ist ein Grundproblem der gegenwärtigen Gesellschaft, dass die allermeisten Menschen so gut wie keine Mitbestimmungsmöglichkeiten bei ganz relevanten Dingen haben. Statt mitzuentscheiden, wie Nahrungsmittel produziert werden, können wir nur als Konsument_innen zwischen verschiedenen, oft ähnlich problematischen Produkten wählen. Statt auf politische Entscheidungen direkt Einfluss nehmen zu können, haben wir nur alle paar Jahre die Wahl zwischen verschiedenen Parteiprogrammen, die sich in zentralen Punkten alle ähneln und außerdem oft noch nicht mal umgesetzt werden. Überall findet eine Verschiebung von Verantwortlichkeit und Verantwortung statt, eine Distanzierung und Entfremdung von vielen Dingen, mit denen wir eigentlich unmittelbar zu tun haben, für deren Erzeugung wir aber nicht verantwortlich sind. Aus unserer Sicht sind Phänomene wie die gegenwärtige Art der Tierhaltung oder das Ausmaß der globalen Umweltzerstörung nur aufgrund solcher Verantwortungsverschiebungen überhaupt möglich.

WP_20140619_005-1024x768Aktiv zu werden heißt wieder Verantwortung zu übernehmen, Entfremdung zu überwinden und Einfluss auf das eigene Umfeld und darüber hinaus zu gewinnen – es bedeutet Befähigung und Ermächtigung von Menschen, und genau das brauchen wir. Man muss dafür keine Vollzeit-Aktivistin werden – denn es gibt im Leben Zeit für mehr als eine Beschäftigung. (Die Idee, dass man entweder voll arbeite oder voll Aktivistin sei, ist natürlich selbst ideologisch innerhalb eines bestimmten kapitalistischen Leistungsparadigmas – aber das nur am Rande.)

Eine soziale Bewegung, die wirklich gesellschaftliche Veränderungen bewirken kann, besteht aus vielen solchen kritischen und engagierten Menschen, die miteinander vernetzt sind. Wenn Leute aber stattdessen aufgefordert werden, nicht aktiv zu sein, sondern systemkonforme Jobs zu machen und Geld zu spenden, dann wiederholt das genau die sonst vorherrschende, fatale Struktur: Die bloßen Spender_innen delegieren Verantwortung, sie beauftragen andere, die eigene Unzufriedenheit mit den Verhältnissen und den eigenen Wunsch nach Veränderung zu artikulieren und umzusetzen. Diese Menschen werden in ihrer Handlungsfähigkeit geschwächt statt ermächtigt.

Ja, es stimmt, dass Veganismus als Konsumprinzip nicht ausreicht. Aber was hinzukommen muss, ist nicht primär Spendenbereitschaft, sondern Einsatzbereitschaft. Natürlich gibt es Leute, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht aktiv sein können, und das müssen wir respektieren. Und natürlich ist es gut, wenn alle, die dazu in der Lage sind, Geld wohl überlegt an unterstützenswerte Organisationen spenden.  Aber gleichzeitig gilt: Gesellschaftliche Veränderungen werden nicht erkauft, sondern erstritten durch den persönlichen Einsatz von vielen Menschen in politischen Auseinandersetzungen. Diesen Auseinandersetzungen müssen wir uns alle stellen. Wir können und sollten sie nicht mit Geld an vermeintliche Profis delegieren.

8 Replies to “Gesellschaftlichen Wandel kann man nicht kaufen”

  1. “Maqi ist kein Verein, es gibt weder Mitgliedsbeiträge noch aktives Spendensammeln. Da wir solche meist für bloße Ablaßzahlungen mißbrauchten Strukturen ablehnen, können wir euphemismenfrei klare Fakten präsentieren, den Tätern schonungslos einen Spiegel vorhalten, ihnen immer wieder vor Augen führen, wofür sie verantwortlich sind. ” http://maqi.de/txt/agenda.html

  2. “Solange eine Friederike Schmitz sich zusammen mit ihrer Co-Autorin Sandra Franz mit eben diesen lauthals nach Spenden rufenden Organisationen nicht auch direkt auseinandersetzt, sie also in einer direkten Aussprache öffentlich (!) zu einer klaren Aussage zwingt, halte ich solche Texte für nichts weiter als ein Schreien im Walde. Ob nun ANIMAL EQUALITY, ALBERT SCHWEIZER STIFTUNG oder VEBU – ohne eine direkte Konfrontation wird sich deren Gebaren, besonders effektiv gegen Tierleid aktiv zu sein, wohl kaum mit ihren realen Erfolgen abgleichen lassen. Erstere behaupten übrigens in ihren Internet-Auftritten ständig, allein durch einen (!) Euro ganze 13 (!) Tiere retten zu können. Fragt man dann mal nach, wie das denn eigentlich funktionieren soll, erhält man von ANIMAL EQUALITY freilich keine Antwort. Also bitte, Frau Schmitz und Frau Franz, wenn dieser Text nicht nur zur Beweihräucherung eures eigenen Egos dienen soll, heißt es jetzt wohl dranzubleiben. Wäre ja nicht das Schlechteste, wenn Tierrechtler (oder auch solche, die sich dafür halten) untereinander auch mal ins Gespräch kämen, um die gröbsten Täuschungen oder gar Lügen innerhalb der Szene einfach mal aus der Welt zu schaffen, oder?”

    https://www.facebook.com/indyvegan/posts/880414512066124

  3. Soweit ich das beurteilen kann, hat die Autorin den Kerngedanken des Effektiven Altruismus nicht verstanden.
    Effektive Altruisten haben das Ziel, SO VIEL GUTES WIE MÖGLICH ZU TUN. Der Weg, wie das zu geschehen hat, ist nicht in Stein gemeißelt und kann sich je nach Faktenlage ändern. Im Moment sehen allerdings die meisten Effektiven Altruisten den besten Beitrag, den sie leisten können, in der Finanzierung effektiv arbeitender NGOs.

    Eine Kritik an den Praktiken einzelner (extremer) Effektiver Altruisten, wie dem Earning to Give, ist aber glaube ich zumindest in dieser Form nicht angebracht. Das Earning to Give ist eine Entscheidung von Einzelpersonen, die bereit sind, sehr hohe Opfer zu bringen. Es ist keineswegs die einzigste Form, den effektiven Altruismus zu praktizieren. Manche Effektive Altruisten spenden “nur” 5 oder 10% ihres Einkommens, oder geben ihre 30 Euro an Weihnachten nicht in den Spendenbeutel im Tierheim, sondern an die Albert Schweitzer Stiftung.
    Auch gibt es Effektive Altruisten, die sich auf die Ausbildung der Grassroot Bewegung konzentrieren (z.B. Tobias Lenaeert).

    Auch schließen sich eigener Aktivismus und effektives Spenden keineswegs aus. Ich glaube, kein Effektiver Altruist lehnt sich nach der Arbeit zufrieden zurück und denkt: “Ich habe genug getan.”
    Letztendlich brauchen wir beides: Eine breite Bewegung innerhalb der Gesellschaft, und effektiv arbeitende NGOs.

    Die Kritik an Organisationen, die versuchen, ihren Impact zu “messen”, kann ich verstehen. Allerdings denke ich: besser eine schlechte Rechnung als gar keine. Viele Aktionen haben nur einen geringen (z.B. Anti Zirkus) oder sogar einen negativen (ich denke hier speziell an Direct Action Everywhere) Nutzen. Da finde ich es deutlich besser, wenn man sich Gedanken macht, wie man mit seiner endlichen Zeit (und Geld) am meisten Gutes tut.

    Es ist tatsächlich richtig, dass ein paar Lebendhöfe zwecks PR definitiv eine gute Sache sind. Allerdings brauchen wir im Moment nicht mehr Lebendhöfe, sondern mehr veganen Aktivismus:
    http://www.animalcharityevaluators.org/research/foundational-research/number-of-animals-vs-amount-of-donations/

    1. Sorry für die späte Freischaltung, war keine Absicht. Wie in der Unterüberschrift gesagt, ist es keine Kritik an EA, sondern an einer These des EA – klarer formuliert hätte es wohl heißen müssen, an einer These, die von einigen Leuten im EA vertreten wird. Einen Fokus auf Spenden statt eigenem Engagement sehe ich aber in der Community allgemein, allein schon mit Blick auf die tragenden Websites und Akteure. Auch bei Animal Charity Evaluaters kommt z.B. eigenes Engagement nur in Form von “Volunteering” für eine große Orga vor; selbstorganisierte Gruppen haben die offenbar gar nicht auf dem Schirm.
      Dass man sich Gedanken machen soll, wie man am meisten erreicht, ist natürlich eine sinnvolle Forderung, und als solche auch ziemlich trivial – auch wenn sie praktisch zu wenig beherzigt wird. Wenn der EA nur das vertreten würde, hätte ich überhaupt nichts dagegen – schwierig finde ich es erst durch viele konkretere Thesen, die von vielen EAs vertreten werden.
      Aus Interesse: Wie begründest du die These, dass Anti-Zirkus oder Direct Action Everywhere einen geringer oder negativen Einfluss haben?

  4. Finde den Text ziemlich gut-erinnert mich ein bischen an den Streit zwischen P.Watson und Greenpeace-er sagt dazu das Greenpeace zu einem Verwaltungsaparat ihrer Spenden geworden sind-auch wenn ich P.Watsons Einstellung sehr problematisch sehe.Diese Gefahr sehe ich auch in den NGOs der Tierschutz/rechtsbewegung.Ihr anliegen ist aufrütteln und auf das Mitleid der Menschen spekulieren.Und wenn Menschen keine Zeit mehr haben für politische Arbeit,finde ich das System einfach nur krank!!

  5. Hallo und danke für diesen Artikel, das ist die beste und konstruktivste Kritik am Effektiven Altruismus (EA), die ich bisher gelesen habe. Ich denke, das hilft beiden Seiten, ihren Horizont zu erweitern.

    Mein Kommentar ist ziemlich lang geworden; ich habe mich bemüht, eine einigermaßen übersichtliche Gliederung zu nutzen.

    Die Sache mit der Angabe konkreter Zahlen, wie viele Tiere pro Euro “gerettet” werden können, finde ich schwierig:

    Einerseits ist es dringend nötig, NGOs nach möglichst objektiven Maßstäben verständlich zu bewerten, und das wurde bislang einfach nicht getan. Die EA-Bewertungsorganisationen sind also Pioniere auf diesem Gebiet und müssen ganz neue Methoden entwickeln. Animal Charity Evaluators und GiveWell kommunizieren das meines Erachtens auch sehr gut, indem sie z.B. ihre Rechenwege transparent machen. GiveWell hat sogar eine Rubrik “Our Mistakes” auf seiner Seite.

    Andererseits verführt es natürlich zu unzulässigen Vereinfachungen, wenn solch eine griffige Zahl zur Verfügung steht. Dass die 13 geretteten Tiere pro Dollar bei Animal Equality so nicht ganz stimmen können, wird sofort klar, wenn man sich über den Hintergrund informiert. Und es stimmt auch, dass in solchen Berechnungen manche Faktoren ohne irgendwelche Grundlagen abgeschätzt werden, wenn dazu keine Forschungsergebnisse vorliegen. Ich denke aber, dass sich diese Lücken weitgehend schließen lassen werden, wenn die Forschung voranschreitet.

    Die Lösung der Albert Schweitzer Stiftung, nicht die spekulative Anzahl geretteter Tiere, sondern die konkrete Anzahl von z.B. Unternehmen, die man überzeugt hat, Legebatterien abzulehnen, anzugeben, halte ich für sehr sinnvoll. Beides nebeneinander, also eine Abschätzung, wie viele Tiere statistisch gerettet werden, und die konkret erreichten Ziele, wäre wahrscheinlich eine gute Kombination.

    Zur Massentauglichkeit der EA-Bewegung:
    Ich denke, das ist auch innerhalb der Bewegung noch offen. Ich werde das mal in EA-Foren zur Diskussion stellen. Ich selbst bin auch für Diversity und Inklusion im EA, aber es ist ein starkes Argument, dass Menschen mit hohem Einkommen und/oder guter Bildung wahrscheinlich die stärksten Unterstützer*innen und Multiplikator*innen sein können. Der EA hat zwei Seiten: Einmal ist Effektiver Altruismus eine Idee, ein technologischer Fortschritt im Bereich Charity, und als solcher betrifft der EA die gesamte Gesellschaft. Auf der anderen Seite ist er eine soziale Bewegung, und wie diese Bewegung aufgebaut ist, wird noch ausgehandelt. Es ist auch vorstellbar, dass der EA als Bewegung sich auf Eliten konzentriert, während andere Bewegungen vorrangig in anderen sozialen Milieus existieren.

    Dass gesellschaftlicher Wandel letztendlich vom ganzen Volk ausgehen muss, würde ich als richtig einschätzen (dazu existiert auf jeden Fall viel Forschung, allerdings kenne ich mich in dem Gebiet leider nicht aus). Aber bevor das passieren kann, braucht man Organisationen, die dafür kämpfen und Menschen mobilisieren, und Denker*innen und Einflussnehmer*innen, die den Boden für den Wandel bereiten. Die vegane Bewegung ist noch in den Kinderschuhen und fängt gerade erst an, sich zu professionalisieren und zu verbreiten. Deshalb ist es aus EA-Sicht klug, jetzt in mehr Einfluss zu investieren.

    Außerdem: Wieso sollte eine breite und diverse Bewegung per se besser sein als eine beschränkte? Vielleicht ist es für manche Zwecke sinnvoller, eine eher elitäre Gruppe aufzubauen, um ein hohes Niveau zu haben? Austausch unter verschiedenen Gruppen kann dann fruchtbarer sein als eine große egalitäre Gruppe.

    Zum Vorrang von Spenden im EA:
    Ich glaube, der Eindruck täuscht. Wie Zelur oben geschrieben hat, bevorzugt Effektiver Altruismus grundsätzlich keine einzelne Methode, Gutes zu tun, sondern strebt immer nach dem wirksamsten Ansatz. Gerade im Bereich Tierschutz und Tierrechte besteht aber ein großer Mangel an Geldern. Engagierte Freiwillige gibt es in dieser Bewegung glücklicherweise zuhauf!
    –> Analyse siehe Link unten in Zelurs Post 😉 (der belegt übrigens auch, warum Anti-Zirkus-Aktivismus weniger effektiv ist als Anti-Massentierhaltungs- oder antispeziesistischer Aktivismus: Es gibt sehr wenige Zirkustiere und die Problematik bekommt schon relativ viel Aufmerksamkeit, außerdem wird es die Einstellung der Menschen zu Tieren wahrscheinlich kaum ändern, wenn im Zirkus keine Tiere mehr auftreten. Dagegen gibt es unheimlich viele Tiere in Massentierhaltung (60 Mrd./Jahr), die extrem wenig Aufmerksamkeit und Geld bekommen. Und Massentierhaltung ist so etwas wie der Kern des Speziesismus, also kann man hier viel am Bewusstsein der Menschen verändern)

    Im Bereich globale Armut ist es so, dass insgesamt recht viel Geld zur Verfügung steht, dieses aber nicht gezielt genug eingesetzt wird. Das Spenden an die effektivsten Organisationen in diesem Bereich beschleunigt daher die Entwicklung, obwohl schon relativ viel Geld in den Bereich fließt, so die These.

    Insgesamt bemüht man sich im EA aber um einen möglichst weiten Horizont und sorgsame Abwägung. Im Bereich Anti-Massentierhaltung wird bei der akademischen EA-Karriereberatung 80,000 Hours beispielhaft empfohlen, effektiv zu spenden, für eine NGO zu arbeiten, in der Laborfleisch-Branche zu arbeiten oder das Thema als Akademiker*in, Journalist*in oder Politiker*in voranzubringen: https://80000hours.org/problem-profiles/factory-farming/

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