Eine Lieblingsantwort der Agrarindustrie auf die zunehmende Kritik an der Nutztierhaltung lautet, dass sich der Umgang mit Tieren in einem stetigen Verbesserungsprozess befände und daher kein Grund zur Empörung bestehe. Seit kurzem hat diese Werbestrategie einen neuen Namen: „Initiative Tierwohl“. Mehrere Supermarktketten haben sich bereit erklärt, pro Kilo Fleisch 4 Cent in einen Topf einzuzahlen. Aus diesem Topf werden dann LandwirtInnen entschädigt, wenn sie in ihren Ställen für mehr „Tierwohl“ sorgen.
Bislang können nur die HalterInnen von Schweinen und Geflügel teilnehmen und auch nicht alle, die wollen. Bei der Teilnahme gibt es verschiedene Kriterien, die jeweils unterschiedlich entschädigt werden – für 10 % mehr Platzangebot bekommt man 2,80 Euro pro Schwein, für zusätzliches organisches Beschäftigungsmaterial 1 Euro, für eine Scheuermöglichkeit 60 Cent und so weiter. Die Teilnahme an der Initiative ist für die TierhalterInnen freiwillig.
Durch die Initiative ändert sich also die Situation der Tiere nur in manchen Ställen und auch sehr unterschiedlich stark. Trotzdem macht der Einzelhandel jetzt kräftig Werbung mit der Initiative, schön platziert neben den neuesten Fleischangeboten. Dieses Ziel war von Anfang an glasklar und wird von einer Lidl-Sprecherin im Meat Magazin des Bauernverbands gut auf den Punkt gebracht:
„Wir hoffen, dass die Initiative das Vertrauen der Verbraucher in die gesamte Wertschöpfungskette stärkt – vom Landwirt bis zum Handel.“
Und Bauernverbands-Funktionär Johannes Röring sagt:
„Die Botschaft an der Ladentheke wird sein, dass der Verbraucher mit seinem Einkauf in den Supermärkten und Discountern der teilnehmenden Lebensmitteleinzelhändler das Tierwohl in deutschen Nutztierställen unterstützt.“
Das ist natürlich offensichtlich absurd. Mich hat aber trotzdem mal interessiert, wie sich die Tierindustrie eigentlich das Optimum an Tierwohl vorstellt – also quasi den Zustand, zu dem hin alle beständig unterwegs sind, auch wenn sie noch gar nicht losgegangen sind.
Unter Stallbesuch.de findet man dazu ein Video über eine Schweinehalterin aus dem Osnabrücker Land. In der Beschreibung heißt es: „Die Anforderungen der ‚Initiative Tierwohl‘ erfüllt dieser Stall im Übermaß.“
Hier kommt das Video und im Anschluss habe ich fünf Kommentare dazu.
1. Ausnahmecharakter: Wichtig ist sich klarzumachen, inwieweit sich die meisten normalen Ställe von diesem Stall unterscheiden – all die positiv herausgestellten Aspekte wie Stroh, Außenbereich, Dusche, Bewegungsmöglichkeit zwischen verschiedenen Bereichen, Scheuermöglichkeit etc. sind ja freiwillige Zusätze, die es eben in den meisten Ställen bzw. für die meisten in Deutschland lebenden Schweine nicht gibt.
2. Verhaltensstörungen: Die Schweine im Video sind schwanzkupiert. Das wird gemacht, um dem gegenseitigen Knabbern an den Ringelschwänzen vorzubeugen. Auch im Supertierwohlstall kann also offenbar diese Verhaltensstörung nicht behoben werden.
3. Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit: Wir sehen in dem Video zwar wohl den ganzen oder einen Großteil des Maststalls, es gibt uns aber nur einen sehr beschränkten Eindruck davon, was das Leben in der Fleischindustrie für Schweine bedeutet. So werden z.B. mehrere routinemäßige Gewaltanwendungen nicht gezeigt: Die Haltung der Muttersauen, die Besamung, der Umgang mit Ferkeln, die Kastration, das Schwanzabschneiden, die Trennung von der Mutter und ggf. Geschwistern, später der Transport und die Tötung, nach einem Bruchteil ihrer natürlichen Lebenserwartung.
4. Im Vergleich wozu? Ohne Frage, in dem Stall geht es den Schweinen besser als in den Ställen, die ich bisher von innen gesehen habe. Wenn man sich aber überlegt, was für diese intelligenten und sensiblen Tiere eigentlich ein gutes und erfülltes Leben ausmachen würde, ist die Situation in diesem Stall noch immer total trostlos und elend – ist das wirklich ein Leben, das sich zu leben lohnt, sechs kurze Monate lang? Eine Welt aus Beton, Gittern, Ketten, Stroh und Kot? Würde man eine Gruppe Hunde so halten und sie nie wirklich raus lassen, sie nie mal im Wald herumschnuppern oder über eine Wiese rennen lassen? Ein Tierwohl, das den Namen verdient, wird hier nicht erreicht. Wenn überhaupt, dann müsste das Ganze Initiative Leidverminderung heißen.
5. Das Kernproblem: Gerade das Ende des Videos zeigt, dass sich eines eben auch im Vorzeigestall überhaupt nicht ändert: Die Tiere bleiben in jeder kommerziellen Nutztierhaltung Waren, deren Bedürfnisse nur insoweit berücksichtigt werden, wie es ökonomisch sinnvoll ist – wenn die Verbraucherin nicht genug zahlt, bekommen die Schweine eben keine Wühlfläche. Wenn nicht genug Geld im „Tierwohl“-Topf ist, gibt es eben keine Scheuerbürste. Alle Mastschweine werden zum ökonomisch sinnvollsten Zeitpunkt umgebracht. Die Tiere zählen nicht als eigenständige Individuen, sondern bleiben in ihrem ganzen Leben und Wohlergehen abhängig von einem Markt, in dem es nie darum geht, die Bedürfnisse aller Betroffenen fair mit einzubeziehen. Deshalb dürfen Tiere keine Waren sein und muss die Nutztierhaltung als Institution abgeschafft werden.
ein paar Anmerkung – vorweg allerdings Zustimmung, dass die Fleischkäufer – die Wurstkunden nehmen wir sowieso aus – sicher schon in der allerächsten Zeit erleben werden, dass sie in einer Welt leben die vom Tierwohl dominiert scheint und erst auf den zweiten Blick , dass es all die vielen Ställe mit Besatzung immer noch gibt – diese Strategie wird natürlich nicht aufgehen , aber bei der menschlichen Vergesslichkeit genügen solche Kurzfristüberlegungen – zu 1: das Sankt-Florians-Prinzip scheint eine wichtige Systemzutat ,denn es werden immer wieder die selben Ställe gezeigt ,obwohl man mit den Wohltaten die Menge der Ställe ändern möchte – die für den Verbraucher zuordnungslose Preiserhöhung ist also wichitig um möglichst viele Ställe möglichst intransparent im System unterzubringen – bei BIO-EIERn ist es ähnlich, da erhält jedes EI eine 0 egal ob max . 3000 oder auch 30000 in einem Stall gehalten werden – hier hat der Verbraucher aber wenigstens die theoretische Möglichkeit an der nachfolgenden Nummer den Schwindel selbst aufzuklären zu .2 Christian Meyer fördert in seinem Land auch ungekürzte und vor allem am Ende des Lebens unbeschädigte Schwänze von Schweinen – ist Friederike Schmitz dieser Indikator ein Erwähnung wert zu. 3 . will ich nicht viel sagen, aber ich gehe schon davon aus, dass z.B. bei der im Film Haltung gezeigten Umfeldparameter nicht vom gezeigten abweichen – Besamung ,Kastenstand sind unnötig ,da leicht natürlich durchführbar und bei der Meinung zur finalen Tötung finden wir in diesem Leben wahrscheinlich nicht mehr zueinander zu 4. da bin ich wieder voll bei Dir , natürlich würde jedem Menschen bei bestimmten Tierarten auffallen, dass man Tiere grundsätzlich nicht einmal nach solchen “Tierwohlkriterien ” halten darf – Schweine brauchen Luft und Licht und ihr wesentliches Tagwerk besteht darin mit ihrem Nasenrücken das Land zu durchfurchen – schon von daher dürfte es Haltungen ,die von solchen Mindeststandards abweichen überhaupt nicht geben – wichtig wird immer weiter die Masse der Haltungen zu zeigen, die nicht einmal die Tierwohlkriterien anstreben, damit auch weiterhin ausreichend richtig billiges Fleisch zur Verfügung steht zu 5. na ja hatte ich in Kern ja schon bei 3. – zuvor mit allerei Zeug gefüttertes Fleisch soll sich refinanzieren und bei Hund und Katze – die auch durchaus gern mal von Veganern gehalten und dann natürlich vermutlich auch konsequenterweise vegan ernährt werden – können wir uns den Luxus der massenhaften Tierhaltung gerade noch leisten, bei nicht wiederkäuenden Haus-Nutztieren dürfte das dann schon zu erheblichen Schwierigkeiten führen oder wir müssen uns entschließen, nicht wiederkäuende Nutztiere weitgehend “auszurotten” – aber dafür gibt es wohl derzeitig kaum auch nur im Ansatz eine notwendige Anzahl von Befürwortern
Hier meine Kommentare zu Ihren Kommentaren:
1. Der gezeigte Stall ist sicher außergewöhnlich, nichtsdestotrotz gibt es ihn und die Tierhalterin selbst hat sichtlich Spaß daran. Niemand behauptet, dass alle Tierwohl-Ställe so aussehen.
2. Die Tierhalterin erklärt doch, warum ihre Schweine kupierte Schwänze haben: Der Betrieb, von dem sie die Ferkel bezieht, bietet das nicht an. Sie hat irgendwo im Web auch erklärt, warum sie nicht Meyers Ringelschwanzprämie beantragen kann. Der Betrieb, bei dem sie die Ferkel kauft, hat Sauenhaltung und Ferkelaufzucht organisatorisch getrennt, das heißt, ein Zweig läuft auf den Namen der Ehefrau, der andere auf den Namen des Ehemannes. Voraussetzung für die Ringelschwanzprämie ist allerdings, dass die Ferkel von einem Betriebs stammen, wo alles unter einem Dach ist, auch organisatorisch – wofür auch immer das gut sein soll.
3. Die Tierhalterin betreibt einen Maststall, das heißt Sauenhaltung und Ferkelaufzucht finden woanders statt. Soweit ich weiß, bietet die Tierhalterin auch Betriebsführungen an. Einer Person ohne persönliche Kenntnis “routinemäßige Gewaltanwendungen” zu unterstellen, finde ich nicht in Ordnung.
4. Als Philosophin kennen Sie eventuell den Aufsatz “What is it like to be a bat?” von Thomas Nagel. Sie schildern hier, wie es für Friederike Schmitz wäre, ein Schwein zu sein. Das ist aber etwas anderes als es für ein Schwein ist, ein Schwein zu sein. Wir als Menschen wissen schlichtweg nicht, wie es für Schweine ist, Schweine zu sein. Die Schweine in dem Film jedenfalls sehen zufrieden aus.
5. Ohne Fleischkonsum und Nutztierhaltung gebe es diese Tiere nicht. Wäre das besser? Wieviel zufriedene Tiererlebnisstunden weniger wären das? Wollen Sie darüber urteilen, ob diese Leben es wirklich wert sind, gelebt zu werden?
Zu 1.: Es wird aber mit der Initiative für Fleischkonsum generell geworben.
Zu 2.: Ok, dann gilt mein Punkt nicht, dass sie auch in dieser Haltung Probleme mit Schwanzbeißen haben würde. Das käme dann auf einen Versuch an.
Zu 3.: Es stimmt, dass die Tierhalterin nicht alle erwähnten Eingriffe selbst durchführt. Mir geht es aber hier um das Leben der Schweine, und zu diesem gehört es dazu. Auch die Situation der Sauen gehört zum Gesamtbild dazu, denn ohne Kastenstandssauen gäbe es diese Mastschweine nicht. Und was die Tierhalterin angeht: Die Tierhalterin sorgt dafür, dass alle die gezeigten Schweine nach wenigen Monaten Leben umgebracht werden – ist das etwa keine Gewaltanwendung?
Zu 4.: Ich kenne den Aufsatz. Darin geht es darum, dass eine rein physikalische Beschreibung der Welt etwas auslassen würde – subjektive Erfahrungen aus einer Innenperspektive. Ein Element im Argument ist die Tatsache, dass wir uns nicht vorstellen können, wie sich die Raumwahrnehmung der Fledermäuse von innen anfühlen muss. Der Aufsatz soll nicht dazu dienen zu zeigen, dass wir keinerlei Wissen über die subjektiven Erfahrungen anderer Wesen haben können. Würde er das zeigen, würde das übrigens genauso für die subjektive Erfahrung anderer Menschen gelten.
Natürlich kann man nicht genau nachfühlen, wie es ist, ein Schwein zu sein. Aber es gibt einschlägige Forschung zu den Verhaltensbedürfnissen von Schweinen, es gibt Beobachtungen dazu, was Schweine gerne tun, wenn sie die Gelegenheit dazu haben. Sie wollen also solche Forschung und Beobachtung außer Acht lassen und sich einfach darauf verlassen, dass die Schweine im Film „zufrieden aussehen“? Es gibt auch Leute, die behaupten, dass Sauen in Kastenständen zufrieden aussehen. Das ist nichts anderes als Wunschdenken.
Schweine würden, wenn sie könnten, anders leben. Das zeigen Versuche im Freiland und Beobachtungen von Wildschweinen ganz klar. Was gibt uns das Recht, ihre Entscheidungen so einzuschränken und sie zu zwingen, ihr Leben in diesen Ställen zu verbringen?
Zu 5.: Stimmt, diese Tiere gäbe es nicht. Ich denke nicht, dass ihre Leben quasi unterm Strich positiv waren. Aber selbst wenn das so wäre – wieso wäre das eine Rechtfertigung für die Gewalt, die den Tieren zugefügt wird? Die Einschränkungen, die Tötung? Wäre es auch ok, Kinder zu gebären, um sie für einen zwangsarbeiten zu lassen, solange die „zufriedenen Menschenerlebnisstunden“ überwiegen? Das ist keine Weise, wie man mit dem Leben von bewussten Individuen rechnen kann.