Letzte Woche hat der Deutsche Ethikrat eine Stellungnahme zur Nutztierhaltung veröffentlicht. Leider sind die konkreten Forderungen, die der Ethikrat formuliert, viel zu schwach – aus den Prinzipien, die in der Stellungnahme selbst aufgestellt und begründet werden, ergeben sich viel weitreichendere Konsequenzen, als der Ethikrat selbst anerkennt. Diese Kritik habe ich mit anderen Philosoph*innen. die zur Tierethik arbeiten, in einem offenen Brief formuliert.
Die Pressemitteilung dazu:
Offener Brief an den Ethikrat: Grundlegende Agrar- und Ernährungswende dringend geboten
26. Juni 2020, Berlin: 15 Tierethikerinnen und Tierethiker kommentieren in einem offenen Brief die Stellungnahme zur Nutztierhaltung, die der Deutsche Ethikrat in der letzten Woche veröffentlicht hat. Die praktischen Konsequenzen aus den dort formulierten Prinzipien seien viel weitreichender, als der Ethikrat es dargestellt habe. Es müsse ein Systemwandel stattfinden, sowohl Erzeugung als auch Konsum von Tierprodukten müssten mindestens drastisch sinken.
„Die Corona-Ausbrüche bei Tönnies und Wiesenhof haben eine Diskussion über die Fleischindustrie ausgelöst, die längst überfällig ist“, sagt Friederike Schmitz, die den offenen Brief mit initiiert hat. „Aber wieder einmal reagieren Politik und Wirtschaft, wenn überhaupt, mit Symptombehandlung. Anstatt Tierhaltung und Tierindustrie umzubauen, müssen wir sie abbauen. Dafür sprechen nicht nur Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutz, sondern auch klare tierethische Gründe.“
Der Ethikrat hatte u.a. gefordert, dass allen so genannten Nutztieren während ihres ganzen Lebens ein möglichst gutes Gedeihen ermöglicht werden müsse, das ihren artspezifischen Verhaltensformen entspräche. Das sei aber in so gut wie allen Formen der Nutztierhaltung, auch bei der Biohaltung, nicht gegeben, betonen die Tierethikerinnen und Tierethiker in ihrem offenen Brief. Eine grundlegende Agrar- und Ernährungswende sei daher unausweichlich. Die konkreten Änderungen, die der Ethikrat in seiner Stellungnahme anmahne, seien demgegenüber erschreckend klein.
„Es ist höchst bedauerlich, dass der Ethikrat, der doch von der Bevölkerung zurecht als Expert*innen-Kommission angesehen wird, es anscheinend nicht wagt, aus seinen eigenen Ergebnissen weitreichende praktische Schlüsse zu ziehen“, sagt Hilal Sezgin, Mitinitiarorin des offenen Briefs. „So entsteht leider der Eindruck, als funktioniere Moralphilosophie da am besten, wo sie theoretisch bleibt, und müsse zahnlos werden, wo sie sich dem Praktischen nähert. Das muss allerdings nicht so sein, es gibt philosophisch konsistente und angesichts der allgegenwärtigen Malaise der Nutztierhaltung sehr überzeugende Positionen einer umfassenden Tierethik bzw. von Tierrechten.“