„Bei uns im Ort wurde ja schon immer gemault wegen des Gestanks. Ich verstehe gar nicht mehr, warum ich früher nie darüber nachgedacht habe. Allein schon diese Unmengen an Hühnern, die dort geschlachtet werden! Die Zahlen waren für mich zuerst gar nicht fassbar. Und dann sollte der Schlachthof auch noch erweitert werden. Mir war schnell klar: Da muss man etwas machen.“
Gudrun Eichler, Architektin aus Königs Wusterhausen
Ein Gespräch mit zwei Mitgliedern der Bürgerinitiative „Königs Wusterhausen Stinkt‘s“.
Gudrun Eichler und Kerstin Tottewitz engagieren sich seit 2016 in Königs Wusterhausen, einer Kleinstadt vor den Toren Berlins, gegen einen Megaschlachthof. Dieser tötet Hühner für die Marke Wiesenhof – und das auch ohne Genehmigung, wie die Bürgerinitiative herausfand. Ich habe Gudrun und Kerstin gefragt, wie sie aktiv geworden sind, was sie dabei erlebt haben und wie es weitergeht.
Wie habt ihr davon erfahren, dass der Wiesenhof-Schlachthof in eurer Nähe erweitert werden soll?
Gudrun: Im Briefkasten habe ich den Flyer von der Initiative Tierfabriken-Widerstand gefunden. Ich habe die Fakten gelesen, die waren erschütternd für mich. Der Schlachthof wollte seine Schlachtkapazität von 140.000 Hühnern auf 160.000 Hühner pro Tag erhöhen – pro Tag! Sie wollten dafür eine Millionen Liter Grundwasser täglich entnehmen. Auf dem Flyer war ein Treffen angekündigt, da bin ich hingegangen und da haben wir gleich die Bürgerinitiative gegründet.
Kerstin: Ohne den Flyer wäre das ganz an uns vorbeigegangen. Mich hat total erstaunt, dass solche Dinge entschieden werden, ohne dass man in der Öffentlichkeit davon etwas mitbekommt. Da ist mir klar geworden, dass man eigentlich nie erfährt, welche Bombe gerade neben einem gebaut wird. Es ist für mich bis heute nicht nachvollziehbar, dass es möglich ist für ein Unternehmen, so viel Grundwasser zu beziehen, ohne dass die Nachbarn gefragt werden, ob sie damit einverstanden sind. Und das sagt mir ja auch, dass die genau wissen, dass keiner dahintersteht. Sie wissen, sie müssen alles unter der Decke halten, damit niemand aufwacht, und das hat mich sehr empört.
Und dann habt ihr entschieden, euch zu engagieren?
Kerstin: Bei dem Treffen hatte ich erstmal ein Ohnmachtsgefühl. So viele Hühner werden da geschlachtet, das kann ich gar nicht denken, diese Zahl, weil ich mich auch vorher nicht damit beschäftigt hatte. So ein „Kann ja wohl nicht wahr sein“-Gefühl.
Gudrun: Es hat aber sehr geholfen, dass gleich professionelle Hilfe da war – Leute von Tierfabriken-Widerstand, dem BUND, den Grünen, die schon öfter solche Verfahren begleitet haben.
Kerstin: Und weil wir da so professionell aufgestellt waren, hab ich gedacht: Da muss jetzt von unten was kommen. Als Anwohner hat man die Möglichkeit, Einwendungen zu schreiben im Genehmigungsverfahren. Wir haben bei dem ersten Treffen Aufgaben verteilt. Ich fand die Mischung toll – viele haben gleich etwas übernommen.
Wie seid ihr dann vorgegangen?
Gudrun: Die Frist für Einwendungen war fast abgelaufen, aber wir wollten noch möglichst viele gute Einwendungen einreichen. Ich habe die ganzen Antragsunterlagen durchgearbeitet. Da bin ich erst richtig wütend geworden.
Wieso?
Gudrun: Die haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, einen ordentlichen Antrag hinzulegen. Der wimmelte von Fehlern, war schlampig und unvollständig. Wenn in meinen Bauanträgen eine Kleinigkeit nicht stimmt, werde ich sofort links und rechts abgewatscht. Aber das Unternehmen dachte offenbar, das reicht für die Behörden und für die Öffentlichkeit reicht es schon lange. Dabei wollen die unser Wasser entnehmen. Sie wollen unsere Luft verpesten, sie wollen ganz viele Tiere töten – und machen das so liederlich, das ist einfach unverhältnismäßig, das hat mich aufgeregt.
Kerstin: Es gab vorher schon Vorfälle. Zum Beispiel blutiges Abwasser, das 2012 über Monate in den Wald gelaufen ist, weil da eine Leitung kaputt war. Es hat ganz stark gestunken. Ich geh da mit meinem Hund öfter spazieren. Der Schaden wurde Monate später auch von den Behörden anerkannt und behoben, also die Erde wurde abgetragen. Dieser Teil des Waldes ist mit einem Zaun bis heute abgesperrt und es wächst noch immer kein Baum darauf trotz lächerlicher Anpflanzversuche. Der Wald neben der Schlachtfabrik ist massiv geschädigt, darunter leide ich auch persönlich.
Ihr habt euch an Demos und Aktionen gegen die Schlachthoferweiterung beteiligt, sogar an einer Blockade des Schlachthofs von Tierrechtler*innen.
Gudrun: Die Aktivität in der Bürgerinitiative hat Spaß gemacht, und besonders die Aktionen. Die Blockade fand ich toll, ich hätte mich am liebsten mit angekettet. Wiesenhof hat nichts anderes verdient. Einmal hat eine Gruppe von der Organisation Robin Wood ein Banner aufgespannt und ich stand unten drunter allein mit einem Plakat. Dann kam die Polizei und hat gesagt, ich verstoße gegen das Versammlungsgesetz. Aber mit wem bitteschön habe ich mich versammelt? Das sind Momente, von denen zehre ich immer noch. Die Aktionen haben mir den Ruf „radikale Öko-Architektin“ eingebracht, da bin ich sehr stolz drauf.
Es gab auch eine Demo beim „Erörterungstermin“ im März 2017, der dazu diente, die vielen Einwendungen zu besprechen. Wie habt ihr die Erörterung erlebt?
Kerstin: Die haben versucht uns zu beruhigen, aber auf eine entscheidende Frage einfach nicht geantwortet: Ob Wiesenhof denn schon angefangen hat, mehr Tiere zu schlachten, obwohl es noch gar nicht genehmigt war.
Gudrun: Wir hatten diesen Verdacht und ich habe in der Erörterung gefragt. Es wurde nicht beantwortet. Gewissheit haben wir erst eine Woche später bekommen durch eine mündliche Anfrage von dem grünen Landtagsabgeordneten Benjamin Raschke. Das war dann natürlich ein besonderer Knaller – die ganze Erörterung hindurch haben sie uns etwas vorgespielt, auch alle von den Behörden. Alle haben so getan, als würden wir über eine zukünftige Erweiterung sprechen, dabei hat Wiesenhof schon längst mit erhöhter Kapazität geschlachtet. Und teilweise hat die Argumentation der Wiesenhof-Anwälte sogar auf diesem Märchen aufgebaut. Die wasserrechtliche Genehmigung für die Grundwasserentnahme, die ihnen schon vorher erteilt worden war, hätten sie daher gar nicht bekommen dürfen.
Ihr habt dann aber Druck gemacht und schließlich hat das Umweltamt verfügt, dass Wiesenhof die Schlachtzahlen wieder herunterfahren muss.
Gudrun: Ja wir haben den Konzern ziemlich geärgert. Aber es hat über ein Jahr gedauert, bis Mai 2018, bis die entsprechende Verfügung tatsächlich wirksam wurde! Durch rechtliche Widersprüche konnte Wiesenhof den Schritt immer weiter aufschieben. Endgültig musste dann das Oberverwaltungsgericht entscheiden – und räumte noch einmal elf Wochen Umsetzungszeit ein. Insgesamt hat Wiesenhof fast drei Jahre lang und schätzungsweise 89 Millionen Hühner illegal geschlachtet. Dieser Konzern hat überhaupt keine Skrupel, jedes Gesetz mit Füßen zu treten. Mit schlauen, teuren Anwälten sind sie dazu in der Lage, und weil sie uns erpressen mit den Arbeitsplätzen.
Kerstin: Es gehören aber auch immer zwei dazu. Und der eine kann nur lügen, weil der andere die Wahrheit nicht wissen will. Und das finde ich eigentlich viel schlimmer. Wiesenhof ist nicht böse, Wiesenhof ist einfach wie Trump – die logische Folge der Gesellschaft, in der wir leben. Und wenn für die Behörden auch nur noch wirtschaftliche Fragen zählen, nämlich die Frage „wie viele Leute kriegen wir da in Arbeit und Brot?“, das ist ja auch nur eine wirtschaftliche Frage – dann leben wir in einer Gesellschaft …
Gudrun: … die führt in den Abgrund.
Wie ist der aktuelle Stand?
Gudrun: Die Erweiterung wurde trotz aller Unstimmigkeiten im November 2018 genehmigt, das hatten wir leider auch nicht anders erwartet. Da hat das Landesumweltamt Druck von oben bekommen, das ist unser Eindruck.
Lasst ihr das so stehen?
Kerstin: Wir klagen gegen die Erweiterung. Unsere Bürgerinitiative arbeitet mit dem Naturschutzbund (NABU) zusammen, der hat hat einen Fachanwalt engagiert, dessen Tätigkeit über Spenden finanziert wird. Der Ball liegt gerade beim Verwaltungsgericht – es soll den Sofortvollzug der Genehmigung stoppen. Ich bin außerdem selber Juristin, ich habe einen so genannten „Drittwiderspruch“ eingelegt. In diesem Zusammenhang konnte ich endlich auch umfangreiche Akteneinsicht nehmen. Aus meiner Sicht wird die Genehmigung niemals einer gerichtlichen Kontrolle standhalten, denn alle offenen Fragen sind immer noch nicht geklärt.
Welche sind das?
Kerstin: Zum Beispiel werden die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestzeiten für die Fleischuntersuchung ganz klar nicht eingehalten, was natürlich gefährlich für die Verbraucher werden kann. Und genau das sind die Fragen, die beantwortet werden müssen: Inwieweit kann das Allgemeinwohl dem technisch Machbaren und natürlich ökonomisch erfolgreichen Konzept untergeordnet werden? So etwas muss in der Gesellschaft thematisiert und dann vom Gesetzgeber geklärt werden. Aber so lange die Gesetze so sind, wie sie sind, müssen sie eigentlich – zumindest für uns Normalsterbliche – eingehalten werden. Aber so geht es durch alle Folgenabwägungen: Also wie viel Wasser darf für so eine Produktion verschwendet werden? Kann man trotzdem genehmigen, auch wenn die Abgasreinigung nicht funktioniert? Riesige Problemfelder, die von den Fachleuten nicht ernsthaft beackert wurden, um Wiesenhof als Investor zu halten.
Wie ist die Stimmung bei euch?
Kerstin: Wir können das nicht loslassen. Einige aus der Bürgerinitiative haben aufgegeben – kein Vertrauen mehr in den Rechtsstaat, kein Vertrauen mehr in die Behörden. So ein jahrelanger Protest ist kräftezehrend. Manche wollen nicht Jahre ihres Lebens für ein Projekt opfern, das sowieso scheitert. Auch ich habe das Gefühl, dass wir unheimlich wenig erreichen. Wir werfen bloß Schaumbälle gegen dieses Riesenunternehmen. Wir haben aber trotzdem noch Hoffnung auf einen juristischen Sieg. Ich denke, das ist absolut krasses Unrecht und die werden da einpacken, aber das wird zehn Jahre dauern, und das ist kein einfacher Weg.
Gudrun: Ich halte es nur aus mit Optimismus. Ich denke schon, dass wir gemeinsam etwas erreichen können. Wir engagieren uns auch anderswo, wenn wir können – als wir zum Beispiel gehört haben, dass die neue Fridays-for-Future-Gruppe in Königs Wusterhausen noch Ordnerinnen für ihre Demo suchen, haben wir beide uns gemeldet.
Kerstin: Am Anfang waren wir ja nur gegen die Erweiterung des Schlachthofs. Aber mittlerweile wollen wir am liebsten, dass Wiesenhof komplett dicht macht. Wenn man sich einmal damit beschäftigt, bleibt nichts anderes übrig als zu sagen: So geht es nicht. Man gerät in die Grundsatzdebatte – wie wollen wir leben, wie wollen wir uns ernähren?
Hat euer Engagement auch Auswirkungen gehabt auf euer persönliches Leben?
Kerstin: Ich esse schon lange kein Fleisch mehr. Hinzugekommen ist noch mehr Achtsamkeit. Zum Beispiel gab es doch diesen Eierskandal, bei dem herauskam, dass ganz viele Öko-Eier auch aus industriellen Anlagen stammen. Man findet überall Öko-Eier, aber kaum jemand wundert sich, dass man nirgendwo ein Huhn sieht. Ich schaue heute genauer hin. Und ich glaube diese Sachen wären alle nicht gekommen, wenn ich nicht einmal so einem riesengroßen Verbrecher ins Auge gesehen hätte.
Gudrun: Ich hab früher viel Fleisch gegessen. Vor fünf Jahren habe ich Rheuma bekommen und deshalb Schweinefleisch gestrichen und insgesamt meinen Fleischkonsum reduziert. Mittlerweile, seit Wiesenhof, liegt er bei null. Ich weiß jetzt, dass man sich anders ernähren kann. Man muss nur andere Kochbücher kaufen. Umweltschutz und Tierschutz werden mich nicht mehr loslassen. Oder besser: Ich lasse die nicht mehr los. Da bleibe ich dabei.
Mehr Informationen zur Bürgerinitiative, zum Klageverfahren und Spendemöglichkeiten: http://www.kw-stinkts.de/
Weitere Links zum Thema: