Die Ferkelchen sind höchstens wenige Tage alt. Sie wirken so winzig und gleichzeitig so faszinierend ‚fertig’, wie ich es sonst von menschlichen Säuglingen kenne. Mit den kleinen Rüsselnasen suchen sie am Boden und am Bauch der Mutter nach den Zitzen, mit den kleinen Beinchen klettern sie über ihre Geschwister. Ich bin nicht religiös und kann auch mit Spiritualität nicht viel anfangen, aber meine unmittelbare Reaktion auf diese neugeborenen Ferkel lässt sich am besten mit „Ehrfurcht” beschreiben.
Auch heute, da wir so viel erklären und noch mehr manipulieren können, bleibt das Leben auf einer bestimmten Ebene doch ein Wunder: Da sind plötzlich Wesen in der Welt, die es vorher nicht gab. Sie sind ganz neu und frisch. Und irgendwie beginnt die Welt gerade erst für sie. Sie sind bereit, alles zu erkunden, zu lernen und Erfahrungen zu machen. Sie haben alles noch vor sich.
Das ist mein Eindruck in dieser Nacht, als ich die Ferkel in der Abferkelbox anschaue. Und dieser Eindruck kollidiert so massiv mit der Umgebung, mit den Umständen, mit der ganzen Szenerie, dass es sich anfühlt wie ein Widerspruch, wie ein Fehler in der Wirklichkeit. Es ist auf eine Weise unbegreiflich, dass so etwas wie das hier tatsächlich existiert.
Die Abferkelbox ist eine von mindestens zwanzig in einer Reihe. Auf der anderen Seite des schmalen Ganges, in dem ich stehe, sind nochmal so viele. Und dieser Gang ist nur einer von vielleicht zwanzig Stück nebeneinander. In jeder Box liegt eine riesige Muttersau, eingequetscht zwischen Metallbügeln. Es stinkt so stark, dass ich auch mit dem Mundschutz kaum durch die Nase atmen kann.
Am Ende des Ganges führt eine Tür in einen breiten Hauptgang. Von dort gehen weitere Türen ab, in Hallen mit Sauen in Kastenständen und in Ställe für die gerade abgesetzten Ferkel. Der nächste Quergang führt zu den Buchten mit den älteren Ferkeln und den Mastschweinen. Über 30.000 Schweine gibt es in diesem Komplex, der insgesamt rechteckig ist und selbst an den Außenwänden so gut wie kein Tageslicht einlässt. Die Gänge sind dreckig. An den Decken verlaufen Rohre mit Staub und Spinnweben.
Ich bin zum ersten Mal in so einer Anlage. Die Bilder, die wir nachher mit nach draußen bringen, zeigen die üblichen Szenen, die mittlerweile zu Recht das Image der Massentierhaltung prägen: Zitternde, halbtote und tote Ferkel in den Abferkelbuchten. Eingezwängte Sauen in Kastenständen, in denen sie noch nicht einmal ihre Beine ausstrecken können.
Vollgekotete Spaltenböden, Mastschweine mit angefressenen Ohren, riesigen Bauchausbeulungen und anderen offensichtlichen Leiden. All diese Dinge sind jeweils für sich kaum auszuhalten. Was sich mir aber in dieser Nacht am stärksten einprägt, ist das Gesamtbild, die absolute Trostlosigkeit dieses Ortes.
Das komplette Leben wahrscheinlich all dieser Schweine spielt sich innerhalb dieser Wände ab. Die Muttersauen verbringen die paar Jahre, in denen sie zur Ferkelerzeugung genutzt werden, abwechselnd in Abferkelbucht, Kastenstand und Gruppenhaltung. Für die Gruppenhaltung werden hier einfach die Kastenstände hinten geöffnet und die Gänge seitlich abgesperrt. Die Mastschweine haben etwa sechs Monate zu leben.
Zwischendurch werden sie ein paarmal umgestallt und rücken so in dem Gesamtkomplex immer weiter vor, Richtung Ausgang, Richtung Schlachttransport. In jedem Stadium erwartet sie praktisch dasselbe: Ein paar Meter harter Spaltenboden. Enge. Kot. Gestank. Mit Glück mal eine Eisenkette, die von der Decke baumelt. Sonst nichts.
Das ist doch kein Leben! Diesen Satz habe ich im Kopf, als ich mich zwischen den Buchten bewege. Aber das ist genau das Leben, das die Ferkel in der Box, die ich betrachte, vor sich haben. Das ist es, was sie erwartet, wofür sie geboren wurden. Das, und dann Transport, Schlachthof, Verarbeitung zu Schnitzel und Mettwurst. Darin liegt der Widerspruch: Leben und doch kein Leben, Individuum und Produkt, Ehrfurcht und Kalkül.
Bevor wir die Anlage verlassen, machen wir noch Fotos vom Inneren des vollen Kadavercontainers. Ein großes aufgedunsenes Schwein, blau angelaufen, steckt tief in dem Container, der Rücken unten, der Kopf fast versunken. Es reckt die Beine in die Höhe. Dazwischen, darüber und daneben Nachgeburten, Blut, Schleim, mittelgroße Ferkel, ein weiteres großes Schwein mit offenen Augen, mehrere winzige Ferkelchen, einige abgeschnittene Ferkelschwänze.
Wieder in der Außenwelt angekommen, ziehen wir unsere Schutzkleidung aus und gehen durch die kalte Nacht über das Feld zurück ins Dorf. Nur wenige hundert Meter entfernt von der Anlage fangen Einfamilienhäuser an, mit gepflegten Vorgärten und Obstbäumen. Als wir vorbeilaufen, bellt ein Hund.
Eines vorweg: ich bin voll und ganz Ihrer Meinung und Tiere kommen für mich als Nahrung nur extrem selten in Frage.
Dennoch komme ich nicht umhin, den suggestiven Sprachstil zu bemerken und ein wenig zu bewundern. Bereits der erste Absatz wimmelt vor menschlichen Attributen (“Rüsselnasen”) und Anthropomorphismen (“Säugling”, “Geschwister”). Dem so gezeichneten Bild von zarten, zerbrechlichen Wesen werden die Trostlosigkeit, die Enge und der Schmutz der Örtlichkeit gegenübergestellt.
So gesehen, ist dies ein exzellenter Artikel, um die Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken und insbesondere die so häufig anzutreffende Kälte und Verhärtung gegenüber diesem Thema aufzuweichen und das Bewusstsein für die Situation der Tiere zu schärfen.
Ich weiss nicht was schlimmer ist. Schreckliche Bilder von Tierqualen, oder diese Zahlen welche verdeutlichen was für ein Höllenplanet für Tiere diese Kugel geworden ist:
http://www.live-counter.com/weltweit-getoetete-tiere/