Tiere als Resteverwerter?

Wilhelm Windisch, ein Professor für Tierernährung, argumentiert in einem Interview: Wir sollten weiterhin Rinder, Schweine und Hühner halten, damit sie so genannte „Reststoffe“ aus der Landwirtschaft und der Ernährungswirtschaft verwerten und so zusätzliche Nahrungsmittel liefern. Auf die Frage, ob wir in Zukunft noch „Nutztiere“ brauchen, sagt er:

„Dazu muss man zunächst verstehen, dass auf den Feldern kein Korn wächst, sondern immer eine ganze Pflanze, von der wir Menschen nur einen kleinen Teil nutzen. Damit diese Pflanze überhaupt gedeiht, müssen wir sogar noch andere Pflanzen als Zwischenkulturen anbauen, die alle nicht essbar sind.

Als Faustformel kann man sich merken: ein Kilo „veganes“ Lebensmittel erzeugt vier Kilo nicht-essbare Biomasse. Das Verhältnis Getreide zu Stroh ist mindestens 1-zu-1, dann müssen wir von Korn noch die Kleie abziehen. Alles was in Mühlen, Brauereien oder in der Ölherstellung an Reststoffen anfällt, ist nicht-essbar und schließlich wird alle drei, vier Jahre überhaupt nichts Essbares auf dem Feld angebaut.“

Und später:

„Die insgesamt auf dem Acker anfallende Biomasse wird in verschiedene Komponenten zerlegt, um dann jeweils möglichst intelligent genutzt zu werden. Verfüttern wir die unverdauliche Kleie an Tiere, statt sie im Brot zu belassen, gewinnen wir aus der gleichen Menge Biomasse mehr menschliche Nahrung.

Haferdrink und Sojamilch sind ja hochverarbeitete Lebensmittel, die nur hochwertige Pflanzenbestandteile enthalten. Verfüttern wir die Reste aus deren Produktion an Nutztiere, bekommen wir am Ende insgesamt mehr Lebensmittel raus.“

Er behauptet also letztlich, eine Gesellschaft ohne „Nutztiere“ würde verschwenderisch mit Ressourcen umgehen. Hier meine Einschätzung zu diesem Argument.

1. Es ist klar, dass solche so genannten „Reststoffe“ nur einen Teil der aktuell eingesetzten Futtermittel ausmachen. Windisch sagt selbst, dass insbesondere für Geflügel extra Futtermittel angebaut werden, was gerade nicht effizient sei. Er schätzt, dass ohne Verfütterung von Lebensmitteln die Tierproduktion auf ein Drittel sinken müsste. Auch wenn sein Argument überzeugend wäre, taugt es also zur Rechtfertigung der aktuellen Tierhaltung nicht.

2. Tierethische Aspekte bleiben hier völlig unbeachtet. Schweine, Rinder und Hühner sind fühlende Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen und Ansprüchen. Es ist nicht fair, sie auf unsere Zwecke hin zu züchten, gefangenzuhalten, sie von ihren Eltern bzw. Kindern zu trennen und zu töten, nur weil uns das praktisch erscheint. Das ist mit einem respektvollen Blick auf Tiere als unsere Mitlebewesen nicht vereinbar. Glücklicherweise ist es für eine ökologisch effiziente Erzeugung von Nahrungsmitteln auch nicht nötig.

3. Die Stoffe, die Windisch als „Reststoffe“ anführt, sind nicht nur als Tierfutter sinnvoll zu benutzen. Einige von ihnen sind keineswegs „nicht essbar“ – sie werden nur faktisch heute selten gegessen. Die Verwertung als Tierfutter ist zwar aus ökonomischer Sicht oft die sinnvollste Option, aber keineswegs aus ökologischer Sicht. Die Verschwendung liegt genau darin, diese Stoffe nicht zu essen. Und auch für die nicht-essbaren Materialien gibt es andere gute Verwendungsweisen, an weiteren wird aktuell geforscht.

Beispiele für alternative Nutzungen im veganen Ökolandbau (oder ggf. auch einer nutztierfreien konventionellen Landwirtschaft) mit einigen Links:

Gras und Grünland: Wenn wir keine Tierhaltung mehr haben, wird so viel Ackerland frei (in Europa wird aktuell auf ganzen 63 Prozent des Ackerlands Futter angebaut), dass wir das Grünland nicht mehr für Nahrungsmittelerzeugung nutzen müssen. So sparen wir auch die Methan-Emissionen der üblichen Weidetiere, Rinder oder Schafe*. Stattdessen:

Hülsenfrüchte und Zwischenfrüchte in der Fruchtfolge für Bodenpflege und/oder Düngung:

  • Kleegras: Kompost, Cut & Carry (auf andere Fläche als Mulch bringen), Biogas, Düngerpellets, Herstellung von Humuserde
  • Ackerbohnen: wunderbar essbar, als Snack, in Fleisch– und Fischersatz, für Brot
  • weitere Leguminosen: gezielt anbauen für menschliche Ernährung: Erbsen, Lupinen, Linsen, Soja
  • Andere Zwischenfrüchte: Einarbeiten, Kompost oder Cut & Carry zur Ernährung der Bodenlebewesen, Biogas.
  • Klee: Grundstoff für „Leafu“, interessantes proteinreiches Nahrungsmittel

Futtergetreide (Wintergerste, Triticale, Futtermais, Weizen mit zu wenig Eiweiß, Haferflocken mit kleinen Körnern):

  • auf der Fläche anderes Getreide anbauen – Dinkel, Roggen, Hafer sind weniger anspruchsvoll als Weizen– oder andere Pflanzen im Sinne einer vielfältigeren Ernährung, z.B. Lein, Hanf, Hülsenfrüchte etc.
  • für Weizen, Hafer etc., die keine „Speisequalität“ erreichen, aber natürlich trotzdem essbar sind: Lebensmittelkriterien ändern, flexibler backen, anders verarbeiten – interessanter Artikel zu Weizen hier.

Stroh und andere Pflanzenreste:

Kleie: ist zwar großteils unverdaulich, aber trotzdem essbar – enthält viele Ballaststoffe und genau die machen sie sogar gesund, teils gilt sie schon als Superfood!

  • mehr Vollkorn essen -> keine Kleie fällt an
  • Kleie essen – im Müsli etc.
  • Als Dünger

Reste der Ölerzeugung, Presskuchen: wunderbar essbar, sehr reich an Eiweiß und anderen Nährstoffen, lässt sich zu Mehl vermahlen oder als Proteinisolat in pflanzlichen Lebensmitteln verarbeiten

Rückstände aus der Pflanzenmilchproduktion (Hafertrester, Dinkeltrester etc.): wunderbar essbar, sehr nährstoffreich

  • Müsli
  • zu verarbeiten in Burgerpatties, Keksen, Brot etc.

Rückstände in Brauereien

Weitere Reststoffe der Ernährungsindustrie

  • An vielen Orten wird geforscht zum Einsatz von sog. „Restströmen“ der Lebensmittelindustrie, z.B. am Fraunhofer-Institut im Rahmen des internationalen Smart Protein Projects. Und derweil entwickeln Start-Ups z.B. Lederersatz, der ebenfalls Reststoffe verwenden soll.

Alle organischen Materialien

  • können in der einen oder anderen Form als Dünger verwendet werden. Ist das nicht Verschwendung? Nein! Verteidiger*innen der Tierhaltung argumentieren ja gerade, dass die Tiere als Düngerlieferanten so wichtig wären – aber wir können eben auch die pflanzlichen Reststoffe direkt nehmen (bzw. nach Kompostierung oder nach Nutzung in einer Biogasanlage). Würden wir aber nicht durch die Verfütterung an Tiere quasi „umsonst“ weitere Lebensmittel bekommen? Nein. Die Haltung von Tieren kostet ja auch Energie und Ressourcen und verursacht Emissionen. Und es ist ja auch nicht so, dass die Tiere selbst dann 100 Prozent essbar wären: Bei Schweinen rechnet man 70 Prozent, bei Rindern 50-60 Prozent, die vom „Schlachtgewicht“ dann als Fleisch genutzt werden. Der Rest sind „Reststoffe“ – die u.a. zu Dünger werden…

Es gibt also für alle genannten „Reststoffe“ aus dem Pflanzenbau viele andere Nutzungsmöglichkeiten abseits der Verfütterung an gefangene Tiere. In den nächsten Jahren werden es dank Forschung noch mehr werden.

4. Es macht Sinn, als Gesellschaft mehr zu denken wie ein Haushalt: Wenn wir das eine Produkt haben wollen und seine Erzeugung uns automatisch ein zweites Produkt liefert, dann müssen wir dafür eben auch eine sinnvolle Verwendung finden. Letztlich passiert ja auch genau das gerade über die Verfütterung – innerhalb des aktuellen Systems werden praktisch alle Stoffe irgendwie „sinnvoll“ verwertet. Wenn wir uns nun aber vorstellen, dass es keine Tierhaltung mehr gäbe, dann würden wir klarerweise andere Verwendungsweisen finden und die wären im Ganzen nicht weniger effizient, meist deutlich effizienter.

5. Nichtsdestotrotz sollten wir uns klarmachen, dass die Wirtschaftszweige Tierhaltung und Pflanzenbau heute auch über die Futtermittel vielfältig miteinander verbunden sind. So werden nicht nur die Pflanzen oft mit Gülle gedüngt – die Nebenprodukte aus der Herstellung veganer Produkte landen oft im Futtertrog. Was passiert z.B. aktuell mit all dem Trester aus der Pflanzenmilchproduktion? Bei Havelmi geht er an Tierhaltungsbetriebe, auch wenn die Genossenschaft für die Zukunft etwas anderes plant. Wie ist es bei den großen Herstellern? Ich werde mal nachfragen. Es gibt noch viel zu tun…

6. Den nötigen Wandel können natürlich nicht die Landwirt*innen alleine vollziehen – es braucht Änderungen in Ernährungsgewohnheiten, Kaufverhalten und teils auch noch Kreativität und Forschung. Aber die braucht es ja in jedem Fall bzw. die setzen wir in der ganzen Diskussion sowieso schon voraus, denn die Frage nach der Verwendung der sog. „Reststoffe“ stellt sich erst, wenn wir die Tierhaltung und den Tierkonsum weiter als auf ein Drittel absenken können.

Zuletzt: Man muss auch bedenken, dass der Autor ein Professor für Tierernährung ist. Letztens sagte ein Doktorand in Agrarwissenschaft zu mir, in der Wissenschaft ändere sich auch deshalb so wenig, weil die Wissenschaftler*innen des alten Systems ja ihre eigene Profession nicht kaputtmachen wollen…



*Mehr zum „Grünland-Argument“ gibt es hier: